Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
nickte er. »Vor allem nicht, wenn sie bei Verstand sind.«
    McCourt sah ihn verwundert an. »Sie kapieren's nicht, was?«
    »Hä? Was denn kapieren?«
    »Die Zeiten haben sich geändert. Die können uns nicht einfach so aussperren.« Er schob Clays Hand von seiner weg, aber statt weiterzuhämmern, drückte er wieder die Stirn an die Scheibe und rief laut. Clay fand, dass er für einen kleinen Kerl ziemlich gut plärren konnte. »He! He, da drinnen!«
    Eine Pause. In der Eingangshalle veränderte sich nichts. Der alte Hausdiener lag weiterhin mit einem Kunstdruck auf dem Hintern tot da.
    »He, machen Sie lieber auf, wenn Sie da drinnen sind! Mein Begleiter ist zahlender Gast dieses Hotels, und er hat mich eingeladen! Machen Sie auf, sonst hole ich mir einen Pflasterstein und schlage die Scheibe ein! Haben Sie verstanden?«
    »Einen Pflasterstein?«, sagte Clay. Er musste lachen. »Haben Sie Pflasterstein gesagt? Echt gut.« Er lachte noch lauter. Er konnte nicht anders. Dann wurde er auf eine Bewegung zu seiner Linken aufmerksam. Er drehte sich um und sah etwas weiter die Straße hinab ein Mädchen im Teenageralter stehen. Sie starrte die beiden Männer mit dem verstörten Blick eines Katastrophenopfers aus blauen Augen an. Sie trug ein weißes Kleid, auf dessen Vorderseite sich ein latzförmiger Blutfleck ausbreitete. Weiteres Blut war unter ihrer Nase, auf den Lippen und dem Kinn angetrocknet. Außer der blutigen Nase schien sie keine Verletzung zu haben, auch wirkte sie überhaupt nicht verrückt, nur so, als ob sie unter Schock stünde. Fast zu Tode geschockt.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Clay. Er trat einen Schritt auf sie zu, worauf sie einen entsprechenden Schritt rückwärts machte. Was er ihr unter den gegebenen Umständen nicht verübeln konnte. Er blieb stehen, hob aber eine Hand wie ein Verkehrspolizist: Hier geblieben!
    McCourt sah sich kurz um, dann hämmerte er wieder an die Tür - diesmal mit solcher Gewalt, dass das Glas in dem alten Holzrahmen klirrte und sein Spiegelbild erzitterte. »Letzte Gelegenheit, dann kommen wir rein!«
    Clay drehte sich um und öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er mit diesem gebieterischen Scheiß nichts erreichen werde, nicht heute, da hob sich hinter der Empfangstheke langsam ein kahler Kopf. Als ob man ein Periskop aus dem Wasser auftauchen sähe. Clay erkannte diesen Kopf, noch bevor das Gesicht erschien: Er gehörte dem Hotelangestellten, der ihn gestern eingecheckt und seinen Ausweis für den Parkplatz im nächsten Straßenblock abgestempelt hatte; demselben Angestellten, der ihm an diesem Morgen den Weg zum Hotel Copley Square erklärt hatte.
    Er verharrte noch einen Augenblick länger hinter der Rezeption, und Clay hielt seinen Zimmerschlüssel mit dem grünen Kunststoffanhänger des Atlantic Avenue Inn hoch. Dann zeigte er auch in der Hoffnung, dass der Angestellte sie wiedererkannte, seine Künstlermappe vor.
    Vielleicht tat der Mann das auch. Wahrscheinlicher war jedoch, dass er einsah, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Jedenfalls benutzte er den Durchgang am Ende der Theke und kam eilig zum Eingang, wobei er einen Bogen um die Leiche machte. Clay Riddell hatte den Eindruck, erstmals in seinem Leben ein widerstrebendes Hasten zu beobachten. Als der Hotelangestellte ihnen hinter der Tür gegenüberstand, sah er von Clay zu McCourt und dann wieder zu Clay hinüber. Obwohl ihn ihr Anblick nicht sonderlich zu beruhigen schien, zog er einen Schlüsselring aus der Tasche, sortierte die Schlüssel, fand den gesuchten und benutzte ihn auf seiner Seite der Tür. Als McCourt nach der Klinke griff, hob der Kahlköpfige eine Hand ganz ähnlich, wie Clay vor dem blutbefleckten Mädchen, das hinter ihnen stand, die Hand gehoben hatte. Mit einem zweiten Schlüssel sperrte er ein weiteres Schloss auf und öffnete die Tür.
    »Kommen Sie rein«, sagte er. »Schnell.« Dann sah er das Mädchen, das in der Nähe geblieben war und alles beobachtete. »Sie nicht.«
    »Doch, sie auch«, sagte Clay. »Komm her, Schatz.« Aber sie wollte offenbar nicht, und als Clay einen Schritt auf sie zu machte, warf sie sich herum und rannte davon, wobei ihr Rock hinter ihr herflatterte.

8
    »Sie könnte dort draußen umkommen«, sagte Clay.
    »Nicht mein Problem«, sagte der Hotelangestellte. »Kommen Sie jetzt rein oder nicht, Mr. Riddle?« Er sprach mit Bostoner Akzent, aber nicht mit dem Dialekt der einfachen Leute weiter südlich, der Clay aus Maine vertraut war, wo jeder

Weitere Kostenlose Bücher