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Puls

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Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kommando übernommen. Je länger Clay über diese Tatsache nachdachte, desto weniger überraschte sie ihn.
    Tom McCourt hatte durchaus Mumm, wie seine britischen Vettern gesagt hätten, aber er war kein geborener Anführer, würde nie einer sein. Clay besaß gewisse Führungseigenschaften, aber an diesem Abend hatte Alice einen Vorteil auf ihrer Seite, der über ihre Intelligenz und ihren Überlebenswillen hinausging: Sie hatte ihre Verluste zumindest teilweise verarbeitet und war nun bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Dagegen hatten die beiden Männer beim Verlassen des Hauses in der Salem Street noch mit sich zu kämpfen. Clay litt unter einer ziemlich erschreckenden Depression, die er anfangs auf seine Entscheidung zurückführte - die an sich unvermeidlich gewesen war -, die Mappe mit seinen Zeichnungen zurückzulassen. Im Lauf der Nacht sollte ihm jedoch klar werden, dass dahinter tiefe Angst vor dem stand, was er vorfinden könnte, wenn und falls er nach Kent Pond gelangte.
    Für McCourt war die Sache eindeutiger. Ihm widerstrebte es, Rafe zurückzulassen.
    »Stell etwas in die Tür, damit sie offen bleibt«, sagte Alice - die neue und härtere Alice, die von Minute zu Minute entschlossener wirkte. »Er kommt bestimmt zurecht, Tom. Futter findet er reichlich. Es wird lange dauern, bis Katzen verhungern oder die Handy-Verrückten auf ihrem Weg die Nahrungskette runter bei Katzenfleisch angelangt sind.«
    »Er wird verwildern«, sagte McCourt. Er saß auf dem Sofa im Wohnzimmer. In dem Trenchcoat mit Gürtel und mit dem weichen Filzhut auf dem Kopf sah er elegant und elend zugleich aus. Rafe lag bei ihm auf dem Schoß, schnurrte und wirkte gelangweilt.
    »Stimmt, das tun sie«, sagte Clay. »Denk nur an all die Hunde -die kleinen wie die riesigen Tiere -, die einfach verenden werden.«
    »Ich habe ihn schon seit langem. Seit er ein ganz kleines Kätzchen war schon.« Als er den Kopf hob, sah Clay, dass er den Tränen nahe war. »Außerdem ist er für mich mein Glücksbringer. Mein Mojo. Er hat mir immerhin das Leben gerettet.«
    »Jetzt sind wir dein Mojo«, sagte Clay. Er wollte nicht darauf hinweisen, dass er selbst Tom sozusagen schon einmal das Leben gerettet hatte, aber genauso war es. »Stimmt's, Alice?«
    »Jep«, sagte sie. McCourt hatte einen Poncho für sie hevorgekramt, und sie trug einen Rucksack, auch wenn dieser vorerst nichts anderes enthielt als Batterien für die Taschenlampen . und, dessen war er sich ganz sicher, den unheimlichen kleinen Turnschuh, der jetzt wenigstens nicht mehr an ihrem Handgelenk baumelte. Auch Clay hatte Batterien in seinem Rucksack, dazu noch die Sturmlaterne. Auf Alice' Vorschlag hin nahmen sie sonst nichts mit. Sie hatte gemeint, es habe keinen Zweck, etwas mitzuschleppen, was sie auch genauso gut unterwegs erbeuten konnten. »Wir sind die drei Musketiere, Tom - einer für alle, alle für einen. Komm, wir gehen jetzt zu den Nicklebys hinüber und gucken, ob wir uns ein paar Musketen besorgen können.«
    »Nickerson.« Er streichelte weiter die Katze.
    Sie war clever genug - und mitfühlend genug, vielleicht auch das -, um nicht flapsig wie auch immer zu sagen, aber Clay konnte sehen, dass ihr bald der Geduldsfaden reißen würde. Er sagte hastig: »Tom, wir müssen los.«
    »Tja, wird wohl so sein.« Er wollte den Kater erst neben sich aufs Sofa setzen, hob ihn dann aber hoch und küsste ihn fest zwischen die Ohren. Rafe ließ es sich gefallen, ohne mehr zu tun, als leicht die Augen zusammenzukneifen. McCourt setzte ihn aufs Sofa und stand auf. »Eine doppelte Portion in der Küche beim Herd, mein Lieber«, sagte er. »Und eine große Schüssel Milch mit dem Rest Sahne drin. Die Hintertür ist offen. Vergiss möglichst nicht, wo dein Zuhause ist, und vielleicht . he, vielleicht sehen wir uns bald wieder.«
    Der Kater sprang auf den Boden und verließ den Raum mit hochgerecktem Schwanz in Richtung Küche. Und nach echter Katzenart sah er sich dabei kein einziges Mal um.
    Clays Künstlermappe, abgewetzt und mit einem waagrechten Knick, der von dem Messerstich in der Mitte nach beiden Seiten ausstrahlte, lehnte an einer der Wohnzimmerwände. Sein Blick streifte sie im Vorbeigehen, und er widerstand dem Drang, sie zu berühren. Er dachte kurz an die Leute, mit denen er so lange zusammengelebt hatte - in seinem kleinen Atelier wie in dem unendlich größeren (so schmeichelte er sich jedenfalls) Reich seiner Fantasie: Zauberer Flak, Sleepy Gene, Jumping Jack Flash, Poison

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