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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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blieb in ehrfurchtsvollem Abstand vor ihm stehen, senkte den Kopf zwischen die Schultern, beugte sich nach vorne und begann mit dem Oberkörper zu schwingen. Er grinste dabei.
    »Wie geht es dir?«, fragte Schielin.
    »Scheiß Mehrwertsteuer«, lautete die Antwort.
    Schielin lachte. »Was hast du denn für Probleme mit der Mehrwertsteuer, Josef?«
    »Teuer, alles ist teuer.«
    »Das ist es auch ohne Mehrwertsteuer so, aber was machst du hier?«
    »Spazieren gehen.«
    »Und immer hier?«, fragte Schielin.
    Josef sah sich um. »Mhm.«
    »Hast du schon gehört, was hier passiert ist?«
    Sein Gesprächspartner hörte auf, einem unhörbaren Takt folgend mit dem Oberkörper zu schwingen, nickte und ließ ein jammerndes Stöhnen erklingen, sodass es Schielin kurz fröstelte.
    Der fragte schnell. »Weißt du vielleicht auch schon mehr?«
    Der verrückte Josef schüttelte den Kopf, aber seinem Blick war anzusehen, dass er in erheblicherem Maße informiert war, als er Schielin gegenüber zugeben wollte.
    Der ging es diesmal direkt an. »Hast du den Ottmar Kinker gekannt, Josef? Komm sag’s schon. Du kennst doch jeden.«
    Der Körper löste sich aus der Starre und begann wieder zu wippen. Es folgte ein weiteres Stöhnen, diesmal aber leiser, und es war schwer zu beurteilen, ob es eine Äußerung von Schmerz oder eine Bejahung auf Schielins Frage hin war.
    »Hast du den Ottmar Kinker hier schon mal getroffen, wenn du spazieren warst?«
    »Nein. Nicht getroffen.«
    »Aber du kennst ihn, oder?«
    Josef presste die Lippen aufeinander, sah sich vergewissernd zu den Seiten hin um und sagte: »Vogler. Vogler.« Dabei zuckte sein Kopf. Schielin wusste nicht, wie er es deuten sollte. War es eine dieser unkontrollierten Bewegungen, oder sollte es eine Richtungsangabe sein. Den Namen Vogler hingegen konnte er schon zuordnen, und er war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um das Café Vogler handeln musste.
    Er fragte ganz einfach. »Café Vogler? Meinst du das Café Vogler?«
    Josef streckte ihm die rechte Hand hin, die offene Handfläche nach oben. »Euro!«
    Schielin sah ihn verdutzt an. »Was soll jetzt das? Willst du vielleicht Geld von mir?«
    Josef schüttelte seine Hand und verlieh damit seiner nun eindeutigen Forderung Nachdruck. Schielin holte etwas umständlich die Geldbörse hervor und kramte langsam einen Euro heraus. Er genoss es. Bevor er aber das Geldstück in Josefs Handfläche gab, zog er es kurz zurück und fragte, »Und wofür willst du den Euro? Hast du ihn verdient?«
    »Informationsgesellschaft«, murmelte der verrückte Josef, der so verrückt nicht sein konnte, und danach sichtlich froh, von keinem schlechten Gewissen geplagt, weiter in Richtung Pulverturm wackelte. Schielin sah ihr nach, dieser Gestalt in viel zu weiten Cordhosen und dem karierten Wollhemd, das sicher unter dem alten Filzmantel zu finden war, so sicher wie die Hosenträger, denn keine andere Technologie konnte diese schwarzen, schweren Cordhosen derart bezugslos zu ihrem Träger schwingen lassen. Da ging er hin, der verrückte Josef. Ein unartiger, vielfach unerzogener Geist aus einer lang vergangenen, weniger perfekten Zeit. Ein vollkommen Unvollkommener, dessen bloße Existenz ihn trotz aller sichtbaren Mangelhaftigkeiten doch zum Teil eines gelungenen Ganzen werden ließ, eines Ganzen, das ohne diese Unvollkommenheit einen Mangel hätte leiden müssen. Schielin hätte er sehr gefehlt.

    Ihm fielen die beiden Fotos ein, die er in der Innentasche mit sich trug. Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Lydia sicher schon ungeduldig warten würde, aber jetzt wollte er doch noch wissen, ob er richtig lag mit seiner Vermutung. Er eilte zurück zum Auto, fuhr hinüber zum Bahnhof, bog nach links in die Ludwigstraße ein. Er hielt direkt vor dem Teebazar und zeigte Sigi das Foto von Kinker. Ihr war der Mann völlig unbekannt.
    Da Schielin nun schon mal in dem kleinen, vertrauten, nach Ruhe und weiter Welt riechenden Lädchen stand, nahm er gleich eine Tüte Lindauer Sommerwiese mit; von den Bodensee Powerkräutern hatte er noch genug. Danach rollte er verbotenerweise weiter bis zum Abzweig der Hinteren Metzgergasse und parkte noch verbotener unter dem wundervollen Holzerker der Hausnummer neunzehn. Im Café ging er nochmals mit dem Foto hausieren.
    Es lohnte sich. Die Bedienung wie auch die Chefin selbst erkannten Ottmar Kinker und auch die Frau und das Mädchen. Sie waren in letzter Zeit öfter hier im Café gewesen und hatten einen sehr frohen,

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