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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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zeigte ihm ein warmer Lichtschein aus verschiedenen Fenstern an, welche Familiensituation er vorfinden würde.
    Er war mit seiner Vermutung nahe an die Wirklichkeit herangekommen. Laura fläzte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer und telefonierte. Lena glotzte gebannt in den Fernseher, wo eine dieser Vorabendserien lief. Schielin fragte sich, was daran interessant sein konnte. Es lief die eintausendsiebzigste Folge von ›Sabrina will mit Tobi, der Probleme mit Claudia hat, die in Flori verliebt ist, der ein Interesse an Sabrina hat, aber gerade mit Judith rummacht‹. Es wechselten lediglich die Namen der Akteure, wobei diese Bezeichnung weit übertrieben schien.
    Es gab insgesamt drei Empfindungsvarianten: Entsetzen:
    Tobi hat Tanja verlassen, weil sie mit Anja und/oder Christoph, und so.
    Freude: Tobi und Tanja sind jetzt wieder zusammen, respektieren aber die Gefühle des jeweils anderen. Man redet drüber, und ist mittendrin im dritten Gefühlsschema: Alltag – in dem keines der beiden anderen vorkommt. Und dafür kassieren die jedes Jahr über sieben Milliarden GEZ-Gebühren, dachte Schielin, der sich ab und an still daneben setzte und dem zwangsgebührenfinanzierten Beziehungswahnsinn zusah: Er unterließ es inzwischen, Kommentare abzugeben, um den Familienfrieden nicht zu gefährden.

    Die Begrüßung durch die beiden Mädels hätte herzlicher sein können, aber schließlich war er es, der störte. In der Küche sah es verheerend aus. Er ging nach oben, wo Marja ihr Arbeitszimmer hatte. Da war es gemütlich. Hinter ihrem Schreibtisch stand ein alter, ausgebeulter Sessel, dessen Lehnbezüge aufgeschrubbt waren. Nebenbei lief das Radio, SWR2. Gleich gegenüber war zwar sein kleines Arbeitszimmer mit einer anständigen Stereoanlage. Aber warum sollte er sich jetzt da reinhocken. Für Musik war später Zeit.
    Marja hatte nur kurz die Hand gehoben, als er eingetreten war, um zu signalisieren, seine Ankunft wahrgenommen zu haben, gerade aber noch etwas fertig machen musste. Sie übersetzte gerade technische Beschreibung und Einbauanweisung eines Turbinengestänges, das für Kraftwerke bestimmt war. Schielin ließ sich langsam in den Sessel sinken, schloss die Augen und genoss den Frieden. Dann, als sie mit dem, was sie so gebunden hatte, fertig war, bekam er die Begrüßung, die er sich vorgestellt hatte.
    »Was war in der Küche los?«, fragte er schließlich.
    Sie sah ihn fragend an. »Oh, bis zu den Tagesthemen will ich meine alte Küche wiederhaben, hatte ich ihnen gesagt. Hat sich da noch nichts getan?«
    Er schüttelte den Kopf. Sie zuckte mit der Schulter.
    Sie genossen beide für einige Zeit den friedlichen Moment in der Dachkammer, bevor sie nach unten gingen und den pubertären Frieden störten. Schielin hatte eigentlich keinen Hunger, machte eine halbe Seele warm, schenkte ein Glas Wein ein und blätterte die Lindauer Zeitung durch. Danach ging er zur Weide.
    Ronsards schwarzes Fell hob sich dunkel von der Nachtschwärze ab, die Friesen schnaubten. Ronsard stand starr und unbeweglich am Birnbaum, hob nur leicht den Kopf. Die Wärme hatte einen ersten würzigen Duft entwickeln können, der nun den Abend füllte. Die Nächte zuvor waren einfach nur kühl gewesen. Jetzt war das Frühjahr schon beinahe zu riechen.
    Ronsard trabte ein paar Schritte auf Schielin zu. Den linken Huf zog er dabei ein wenig nach. Schielin sah sich die Sache gleich näher an und leuchtete mit der Taschenlampe den Fuß ab. Oberhalb des Hufansatzes war eine offene entzündete Stelle. Die Hufe selbst mussten sowieso wieder einmal ausgeschnitten werden. Sofern das möglich war, sollte es noch in dieser Woche geschehen. Ob er Zeit dafür haben würde, mitten in den Ermittlungen?
    Er trat nahe an Ronsard heran, lehnte sich an den vorderen Oberschenkel und rieb und tätschelte ihn. Er dachte an seine beiden Mädchen drüben im Haus und an Helmtraud Kinker. Was würde aus seinen beiden einmal werden? Doch niemals eine Helmtraud Kinker. Was musste geschehen, dass man so wurde, sich isolierte, aus dem Leben zurückzog, in eine Wohnung voll Ablehnung und kalter Zweckmäßigkeit?
    Er rieb Ronsard hinter den Ohren. »Mein Freund, wenn du einmal gehen musst, werde ich heulen, ich verspreche es dir. Du wirst mir fehlen. Weiß du, so seltsam es klingt, aber es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, man würde jemandem fehlen. Es zeigt einem, dass man vielleicht nicht alles richtig, aber auch nicht alles falsch gemacht hat. Glaubst du, es gibt jemanden,

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