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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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sagte: »Hör dir das bitte mal an und sag mir, was du davon hältst.«
    Sie sah überrascht auf, und er begann zu lesen:
    » Du wusstest doch, wie sehr wir uns mochten. Wie sehr er mich mochte, und Du wusstest, wie sehr ich ihn mochte, wie wir aneinander hingen, unser ganzes Leben lang. Dass Ihr beide trotz dieser vielen Jahre nie zueinandergefunden habt, war für Euer beider Leben bitter, und es war bitter für die, die es miterleben mussten und keine Wahl hatten, das Unglück zweier Menschen nicht zu sehen. Doch wie, sage mir in der wenigen Zeit, die mir noch bleibt, wie konntest Du das tun. Dir das antun. Von ihm will ich nicht reden, denn er ist jetzt im Guten. Aber ich denke an Dich und an die Kinder, und es treibt mich um, dass ich fälschlicherweise schreibe, wie konntest Du Dir das antun, wo ich die grausame Ahnung habe, dass ich eigentlich schreiben müsste, wie konntet Ihr Euch das nur antun? Du wirst mit dem, was geschehen ist, nicht zufrieden sterben können, und ich befürchte, es wird Dir egal sein. So schreibe ich diese Zeilen denn auch zu einem guten Teil für mich.«

    Lydia Naber hatte gebannt zugehört und streckte die Hand über den Schreibtisch. »Gib mal her, das ist ja düster.« Sie betrachtete den Brief skeptisch. »Ist ja schon fast zwanzig Jahre alt das Ding. Schöne Schrift. Und keine Anrede, von wegen Sehr geehrte, oder Liebe irgendwas. Na ja, das wäre bei dem Inhalt auch nicht angebracht. Es fehlt auch ein Gruß und der Name.«
    Schielin nickte nachdenklich und kramte die drei Kuverts hervor, die er gefunden hatte. Er hielt sie kurz hoch und las den darauf in Druckbuchstaben vermerkten Adressaten vor. Es war Meta Kinker. Als Absender stand auf der Rückseite der Kuverts der Name Martha Ballhaus.
    Beide sahen sich fragend an. Dann las Schielin aus dem zweiten Brief vor.

    »Heute hat mich Ottmar besucht. Wir haben geschwiegen. Fast die ganze Zeit. Die Ärzte sagen, es würde mir gut gehen. Am schlimmsten ist ein junger Kerl, der immer, wenn ich vor Schmerzen stöhnen muss, zu seiner eigenen Beruhigung sagt: Es wird schon wieder, Frau Ballhaus. Nichts wird jemals wieder und ich werde nichts vermissen. Die Mittel, die sie mir geben, sind nicht so stark, dass ich nicht mehr klar denken könnte. Aber mir fehlt inzwischen die Kraft zum Zorn. So wirst Du sicher sein vor mir - vielleicht. Ottmar wird zugrunde gehen, denn er kommt ganz nach unserem Schlag und hat nichts von Euch mitbekommen. Niemand wird ihm helfen. Ich bedauere das, denn hier ist nun der geeignete Ort und auch die Zeit, Erinnerungen zu wecken, und ich erinnere mich, wie ich ihn bei der Taufe gehalten habe. Es ist alles so schade, aber gleich wie – die Bäume werden wieder herrlich blühen und die Tulpen auf der Mainau. Ein schöner Gedanke.«
    Schielin musste schlucken. Lydia Naber schüttelte ungläubig den Kopf. »Was kann da passiert sein? Ottmar! Das ist doch der Ottmar Kinker … er wird zugrunde gehen.«

    Schielin legte den Brief auf den Schreibtisch und nahm den noch verschlossenen zur Hand. Auch er war an Meta Kinker gerichtet. Der Absender wiederum Martha Ballhaus. Dem Poststempel nach war es der letzte der drei Briefe. Er war hin und her gerissen. Zum einen wollte er unbedingt wissen, was in diesem Brief stand. Doch einmal war es ein Brief, der nicht an ihn gerichtet war, und selbst Meta Kinker hatte ihn nicht geöffnet.
    Lydia Naber spürte den Widerspruch in dem er steckte. »Blöde Sache, gell. Eigentlich geht uns der Brief ja nichts an.«
    Er stöhnte. »Ist schon seltsam, oder. Da hören wir massenweise Telefone ab, schneiden E-Mails, SMS und diesen ganzen Kram mit, und was weiß ich, was sonst noch alles so geschieht, von dem wir nichts wissen. Und dann liegt hier ein uralter, verschlossener Brief vor einem, den ein Mensch geschrieben hat, der schon lange unter der Erde liegt, und es wird einem klar, was mit Briefgeheimnis gemeint ist.«
    Er legte den Brief wieder weg. »Ottmar Kinkers Taufpatin war wohl tief schockiert von einem Ereignis, das vor etwa zwanzig Jahren geschehen sein muss. Ich will, glaube ich, gar nicht wissen, was in dieser Familie los war.«
    »Ich glaube, ich weiß es schon«, sagte Lydia Naber und sah Schielin durchdringend an, »da ist der alte Herr Kinker gestorben, Ottmars Vater.«

    Draußen war es inzwischen schon dunkel geworden. Schielin war müde und musste gähnen. Gedanken über die Andeutungen in den Briefen waren ihm zu mühsam. Als er kurz darauf zu Hause in den Hof einfuhr,

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