Puna - Toedliche Spurensuche
Vater brach eine Welt zusammen. Die Ehe ging in die Brüche und der Vater machte sich aus dem Staub. Anja hatte keine reale Erinnerung an ihn. Sie kannte ihn nur von Fotos, die Ihre Mutter immer im Schrank aufgestellt hatte. Die liebte ihn bis zu ihrem Tod immer noch. Aber er ließ nie mehr etwas von sich hören. Und Anja konnte gut auf ihn verzichten. Als Genealogin hatte sie nie Anstalten gemacht, nach ihm zu suchen. Er interessierte sie einfach nicht mehr.
Wesentlich schlimmer für Anja war die Ungewissheit. Gab es wirklich nur diese eine Untreue ihrer Mutter? Die ist auch erst herausgekommen, als sie nicht mehr zu leugnen war? Anja hing sehr an ihrer Mutter. Doch hatte sie nie den Mut, sie später noch einmal auf das Thema anzusprechen. Und sie hatte nie den Mut aufgebracht, die Ungewissheit in eine Gewissheit umzuwandeln, einen Gentest zu machen. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie ein solches Gen nicht besäße. Ihr Unterbewusstsein lärmte in solchen Situationen immer wieder den Hinweis ins Gehirn: ‚Einmal ist keinmal. Da war bestimmt mehr dahinter‘.
Aus dieser Ungewissheit heraus war für sie klar, dass sie nie Kinder hätte haben wollen. Nie. Sie sah es als Verantwortung ihrerseits an, ein solches Gen nicht weiter zu geben. Sie hatte es später innerhalb der Familie mehrfach als Kampfmittel gegenüber ihrer Mutter eingesetzt, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte. Sie machte ihr immer zum Vorwurf, dass die Mutter Katharina bevorzugte, weil sie mit ihr Schuldkomplexe verband. Das erkannte Anja auch und spielte auf dieser Saite. Dann kam der nächste Schlag. Feier zum bestandenen Abitur. Katharina war frühzeitig durch Magenkrämpfe ausgefallen und saß teilnahmslos an der Seite. Sie wollte niemandem den Spaß verderben. Hatte man sich doch extra in das Blockhaus eingemietet. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Und ihr Freund bot sich an, sie nach Hause zu bringen. Allerdings fühlte er sich trotz des Alkohols fitter als er tatsächlich war. Sie stieg zu ihm ins Auto ... Anja kann sich noch heute daran erinnern, wie es damals war, als in der Nacht die Polizei anrief. Auch nachdem Katharina tot war, wollte Anja diese Waffe nicht mehr aus der Hand geben. Sie war effektiv. Was sie nicht merkte, war die Tatsache, dass der intensive Gebrauch davon dazu führte, dass immer ein Stückchen mehr in ihrem Gehirn verankert wurde, dass sie vielleicht doch ein solches Gen in sich tragen würde.
Abrupt hielt das Taxi an und riss damit Anja aus ihren Gedanken heraus. Sie war am Ziel angekommen. Sie wußte gar nicht, wie sie dorthin gekommen sind. Sie hatte die Landschaft nicht bewusst wahrgenommen. Rudolfo wies mit der nach oben gedrehten rechten Handfläche in Richtung des Fensters und sagte »Valle de la Luna« und grinste dabei Anja an. Die beiden fehlenden Schneidezähne machten sich in solchen Situationen besonders bemerkbar. Seine oberen Eckzähne waren leicht nach außen gestellt. Sein längliches braunes Gesicht mit den kleinen, flinken Augen und dieses markante Gebiss machten nicht gerade zu einer Schönheit. Aber er wirkte authentisch, fröhlich und liebenswert.
Anja stieg aus und ging Richtung der Erdpyramiden. Eukalyptusbäume, Opuntien und bis zu 40 cm hohe Kakteen hatten diese Landschaft spärlich besiedelt. Das Valle de la Luna bestand aus einem Haupttal, das zwei Ansiedlungen von Südost nach Nordwest trennt. Mallasa auf der einen Seite, und Barrio Aranjuez auf der anderen. Der Fluss an der tiefsten Stelle war trocken. Der Boden bestand aus Sand und Geröll verschiedener Größenordnungen. Regen spülte den schutzlos ausgelieferten Boden hinweg. Die vereinzelte Vegetation und größere Steine schützen den darunter liegenden Boden davor, abgetragen zu werden. Zunächst ragten diese geschützten Stellen wenige Millimeter über die Umgebung heraus. Im Laufe der Zeit wuchs jedoch dieser Abstand immer weiter an. Anja stieg bis zu dem ausgetrockneten Fluss abwärts. Obwohl sie am Valle de la Luna immer noch über 3.300 m hoch war, fühlte sie sich besser als zu Beginn in La Paz. Die Anpassung an die Höhe machte Fortschritte.
Derartige Landschaften nannte man Badlands oder Malpaís. Es ließ sich nicht mehr nutzen. Sie konnten natürlichen Ursprungs sein oder auch Folge einer nicht angepassten Landnutzung. Anja vermutete, dass hier natürliche Gründe die Hauptrolle spielten. Außer großen Ameisen konnte sie dort keine Tiere sehen. Einige Hohlräume waren mit Müll aufgefüllt. In anderen schwelte Feuer
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