Puna - Toedliche Spurensuche
Nathan sah sie nachdenklich an.
Anja zeigte keine Reaktion.
»Erde an Anja. Bist du noch da ?« Nathan berührte Anjas Schulter. Erschrocken bewegte sie ihren rechten Arm zur Seite und warf das Wasserglas um.
»Entschuldigung«, murmelte sie, während Nathan und sie versuchten, mit ihren Servietten die Überschwemmung einzudämmen.
»Was ist los mit Dir ?« , versuchte es Nathan noch einmal.
»Ach, nichts ...«.
»Du schmeißt mit Wassergläsern um Dich und reagierst nicht, wenn man Dich anspricht. Wenn das Dein Normalzustand sein sollte, möchte ich nicht wissen, wie du Dich verhältst, wenn du von der Rolle bist ...«. Er grinste. »War Dein Tag heute so schlimm? Ist Dein Gepäck immer noch nicht aufgetaucht ?«
Anja schüttelte den Kopf. Sie sah auf die Uhr. Die vereinbarte Zeit für die Gepäcklieferung war schon lange verstrichen.
»Die Dame im Reisebüro sagte, dass das Gepäck am Flughafen angekommen sei und heute ins Hotel gebracht werden sollte. Aber nichts ist da .«
»Sei doch nicht so pessimistisch. Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass in Bezug auf das nachgelieferte Gepäck Versprechen nicht eingehalten wurden. Was die Zeiten angeht, da musst du noch etwas kreativer denken. Es wird schon kommen ...«
»Wenn du meinst ...! Wie war Dein Tag ?«
»Ohne Vorkommnisse. Habe mich mit einem alten Freund getroffen und wir haben die Berge etwas unsicher gemacht .«
Beide schwiegen vor sich hin. Anja richtete ihren Blick auf Nathan. Schließlich unterbrach sie das Schweigen.
»Du, Nathan, ...«
»Ja?«
»Ich bin vorhin in mein Hotelzimmer gekommen. Da lag dieser Brief auf meinem Bett«. Sie schob das zusammengefaltete Blatt über den trockenen Teil des Tisches. Nathan betrachtete den Text aufmerksam.
»Wen hast du geärgert ?«
»Wen soll ich schon ärgern. Ich kenne hier doch keinen .«
»Aber irgendjemand hat etwas gegen Dich. Was hast du vor? Ich glaube, die Polizei brauchst du nicht einzuschalten«.
»Ich warte auf mein Gepäck und dann will ich schnellstmöglich hier weg .«
»Eigentlich wollte ich morgen schon mit dem Bus nach Cochabamba fahren ...«
»Da würde ich am liebsten mitkommen. Aber mein Gepäck ...«
»Wir könnten doch morgen noch einmal zum Reisebüro gehen. Vielleicht können wir das Problem lösen. Notfalls fahren wir zum Flughafen und holen es dort ab. Dann können wir mit dem Bus immer noch starten. Ich kenn mich da aus. Vertrau mir«.
Die Stimmung beim Abendessen war sehr bedrückt. Anja hatte vor sich mit Speck umwickeltes Hühnchen in Käsemantel, dazu verschiedene Kartoffelsorten und Bohnen auf ihrem Teller. Sie stocherte darauf herum und dachte laufend an den anonymen Brief. Die erste Zeit hatte sie die Aufregung von Zuhause schon fast vergessen. Jetzt ging es schon wieder los.
»Am anderen Ende des Saales rief eine Damenstimme: »Señora Koswig ... por favor .... Señora Koswig ... por favor ...«
»Ich glaube, die meinen Dich«, sagte Nathan.
Anja stand auf und ging in Richtung der Dame. Die reichte ihr ein mobiles Telefon. Am anderen Ende war Evelin Guzman Calderón aus dem Reisebüro. Sie fragte nach, ob Anja ihr Gepäck erhalten habe. Da dies nicht der Fall sei, versprach sie, dass sie es noch am selben Tag mit dem Taxi geliefert bekommen würde. Anja war zwar skeptisch, bedankte sich aber trotzdem.
Nathan gratulierte ihr. Einer gemeinsamen Weiterfahrt nach Cochabamba stand nun nichts mehr im Weg. Anja würde noch eine Recherche durchführen müssen, bevor sie weiterfahren könnte. Sie verabschiedete sich von Nathan und ging auf ihr Zimmer. Keine Stunde später klingelte dort das Telefon und sie wurde gebeten, zur Rezeption zu kommen. Dort wartete Evelin mit einem Taxifahrer. Vor ihnen lagen ihr Rucksack und eine Umhängetasche. Der Rucksack, der zuhause Schwierigkeiten beim Verschließen machte, fiel nun in sich zusammen. Ein Teil des Inhaltes musste neue Eigentümer gefunden haben. Anja öffnete ihre Umhängetasche. Ihre Unterlagen schienen noch vollständig zu sein. Sie bedankte sich bei Evelin. Gleichzeitig regelte sie alles, damit sie morgen früh ihr Gepäck noch im Hotel lassen konnte.
Sie legte sich früh in ihr Bett und schlief sofort ein. Sie träumte von anonymen Briefen. Sie war auf der Flucht in La Paz. Hinter ihr fuhr langsam ein Auto durch die dunkle Straße hinterher. Die Gasse, die sie entlanglief wurde immer schmaler. Schließlich war sie so schmal, dass nur noch ein Auto hindurchpasste. Es hätte sich niemand daran vorbeischlängeln
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