Puna - Toedliche Spurensuche
entschieden, dass ihnen am verlässlichsten erschien. Ihre Rucksäcke verschwanden schnell hinter dem Schalter. Der Bus sollte 14:08 Uhr abfahren. Viel Zeit blieb also nicht mehr. Der Bus war relativ voll, so dass es nur noch einzelne Sitzplätze gab. Anja blieb in der Nähe des Schalters, um rechtzeitig da zu sein, wenn man den Bus betreten konnte. Aber nichts passierte. Verstohlen blickte sie immer wieder zur Uhr, aber nichts tat sich. Wegen der Verzögerungen schien es keine Unruhe zu geben. Gegen 15:00 wurde endlich der Durchgang frei. Anja beeilte sich, möglichst schnell in den Bus zu kommen. »Nur schnell weg aus La Paz«, dachte sie sich. Sie freute sich, einen Sitzplatz am Fenster zu haben. Nathan saß ziemlich weit hinten, eingekeilt zwischen jungen bolivianischen Männern. Er zog sich seinen Sonnenhut ins Gesicht und schien vor sich hinzudösen.
Zwanzig Minuten später rollte der Bus vom Gelände. Aber schon zwei Querstraßen weiter, hielt er erneut an. Der Beifahrer sprang heraus und warb neue Gäste. Ein hagerer Mann mittleren Alters drückte ihm etwas in die Hand, stieg in den Bus ein und wanderte nach vorne und hinten den Gang entlang und redete über Jesus und den Untergang der Welt. Danach die nächste Veranstaltung. Ein junger, gut gekleideter Mann stieg ein, reichte dem einen oder anderen Fahrgast die Hand. Er blickte Anja lange an, grinste ihr dann zu und reichte auch ihr die Hand. Schließlich begann er einen gewaltigen Redeschwall. Anja machte keine Anstalten, bei der Geschwindigkeit auch nur ein bisschen zu verstehen. Schließlich griff er in eine Umhängetasche, die ihr vorher verborgen war, um Teebeutel hervor zu kramen. Am Ende seiner Rede holte er einen kompletten Karton mit Teebeuteln hervor. Aber niemand kaufte. Die junge Frau neben Anja stieg aus.
Nachdem auch er fertig war und wieder ausgestiegen ist, stiegen zusätzliche Fahrgäste ein. Anja staunte, weil sie nur zwei freie Sitzplätze ausmachen konnte. Davon lag einer neben ihr. Dorthin setzte sich ein Mestize. Sein Sohn blieb zunächst im Gang stehen. Zwei Reisetaschen hatte er zwischen den Füßen.
Zusätzlich stiegen aber auch mehrere Aymara-Frauen mit prall gefüllten Rückentüchern ein. Sie legten ihr Gepäck auf den Gang und setzten sich darauf. Der Bus war nun übervoll. Der Beifahrer schloss mit der Hand die Tür und die Fahrt ging weiter. An den steilen Straßen hatten die starken Niederschläge der letzten Zeit Pflastersteine und Schotter gelockert und teilweise herunter gespült.
Der Bus quälte sich langsam durch La Paz. Draußen erkannte Anja wenige Kiefern, Agaven, Sträucher und Horstgräser. Die Andenriegel waren in Wolken gehüllt. Grau-braune Landschaft. Je weiter sie sich von La Paz entfernten, desto seltener wurden die Häuser aus Hohlblocksteinen. An ihre Stelle traten die luftgetrockneten Adobe. Allmählich wurden die Wellblechdächer gegen Strohdächer ersetzt. Hin und wieder standen neben der Straße Pfützen.
Alle Mitreisenden werden gebeten, die Vorhänge zuzuziehen. Der Busbegleiter holte eine Videokassette aus einer Tasche und bald lief das erste Video. Die Lautstärke wurde manuell nachjustiert; bis die Lautsprecher anfingen, zu klirren. Anja schien die Einzige zu sein, die sich dabei unwohl fühlte. Es lief ein englischsprachiger Film mit spanischen Untertiteln. Eine richtige Handlung konnte sie nicht ausmachen. Es schien nur wichtig zu sein, dass es viel Action gab, dass viel Blut floss und Menschen grausam verunstaltet wurden. Anja mochte solche Filme noch nie. Aber seit Ariana in ihrer Wohnung so misshandelt wurde, kann sie derartige Filme noch nicht einmal mehr als abstoßend empfinden. Menschen, die solche Filme herstellen, empfand sie nur noch als krank. Hier war sie dem Film ausgeliefert und konnte nicht fliehen. Sie versuchte, durch einen Spalt zwischen zwei Vorhängen nach draußen zu spähen.
Anja sah den Menschen draußen beim Pflügen der Felder zu. Zwischen Straße und Feldern durchschnitten teilweise tiefe Runsen das Land. Kurz darauf ein abruptes Abbremsen. Der Beifahrer öffnete die Tür und stieg aus. Kurz darauf stiegen eine weitere Aymara-Frau mit prall gefülltem Rückentuch sowie ein älterer Mann mit ledriger, brauner Haut in einer schwarzen Lederjacke bekleidet ein. Auch sie nahmen im Gang auf einem Tragetuch Platz.
Das Video war gerade abgelaufen und der Beifahrer wollte die Kassette gegen eine andere auswechseln, als Anja plötzlich ein ungesundes Geräusch hörte. Es
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