Puna - Toedliche Spurensuche
Nachricht zu verarbeiten suchte.
»Ich werde in Kürze aufbrechen, um Chuvica zu erreichen. Dort müsste der nächste lebende Verwandte von Ludwig Staller leben«.
»Gehen Sie bloß kein Risiko ein. Ich habe von der Polizei eine Warnung bezüglich Ihrer Person bekommen. Seien sie vorsichtig. Warten Sie, ich komme rüber. Wie heißt der Ort, wo Sie sind. Chuvica? Morgen bin ich bei Ihnen ...«
»Nein, dass ist das endgültige Ziel. Zur Zeit bin ich noch in Uyuni. Hallo? Es macht absolut keinen Sinn, dass Sie kommen ... Die Leitung war unterbrochen.
Anja kramte einen Zettel aus ihrer Umhängetasche und wählte eine Telefonnummer, die Maria Assuntas Schwester in Potosí aufgeschrieben hatte. Es klingelte zweimal.
»Maria Assunta ...«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Hier ist Anja Koswig. Frau Assunta, ich bin eine Genealogin aus Deutschland und recherchiere hier in Bolivien an einem Fall. Dabei geht es auch um die Zeit der Militärdiktatur. In diesem Zusammenhang wurde mir zweimal Ihr Name genannt ...«
»So? Von wem denn?«
»Einmal von der alten Dame im Familienforschungszentrum der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage in La Paz und zum anderen von Alfred Schlebaum. Sie haben vor Jahren von einem Straßenkinderprojekt berichtet, das er in Cochabamba betreute. Beide nannten Sie als eine kompetente Ansprechpartnerin .«
»Und wie kann ich Ihnen helfen ?«
»Ich würde Sie gerne treffen und Ihnen ein paar Fragen stellen .«
»Ich bin in Uyuni. Das liegt ziemlich weit im Süden von Bolivien, da ...«
»Ich bin ebenfalls in Uyuni. Soeben eingetroffen.«
»Heute gegen 12 Uhr. Wo wollen wir uns treffen? Was kennen Sie in Uyuni ?«
»Weiß ich nicht. Ich bin gerade erst angekommen .«
»Sind Sie mit dem Bus oder mit dem Auto angekommen ?«
»Mit dem Bus ...«
»Okay, warten Sie an der an der Kreuzung Avenida Cabrera und Avenida Sucre. Das ist die nördlich gelegene Querstraße zum Busterminal .«
»Ich werde da sein«
Anja verlies das Gebäude, nachdem sie für die beiden Telefonate bezahlt hatte. Der Ort lag wie ausgestorben da. Wo waren die Menschen geblieben? Graue Adobehäuser. Die Straßen schachbrettartig angeordnet. Eine feine Staubschicht bedeckte alles. Eine Windböe trieb Staubwölkchen vor sich her. Eine Plastiktüte wurde mitgerissen und wenige Meter weiter wieder abgelegt. Darauf wartend, dass irgendwann die Reise weiter geht.
Anja bummelte die Zeit ab. Sie schlenderte hierhin, bald dorthin. Der Ort war übersichtlich. Er war trostlos. Er war ... Hätte man einen Film drehen wollen und Endzeitstimmung herüber bringen wollen, man hätte irgendwo in Uyuni die Kamera aufbauen können und einige Minuten drehen können. Authentischer konnte man die Stimmung nicht festhalten.
Eine Haustür wurde geöffnet. Quietschendes, knarrendes Metall. Anja sah plötzlich die Seilwinde am Auslegerarm des Baggers vor sich. Sie hörte dieses schreckliche Geräusch, wenn Blech über Steine geschrammt wird. Sie sah Haydee vor sich. Es war, als wolle sie jemand umklammern. Sie bekam kaum Luft. Sie atmete wie nach einem Sprint. Das Gefühl, umklammert zu werden wurde stärker. Sie verspürte nur noch das Bedürfnis, zu fliehen. Gleichzeitig sah sie Haydee vor ihr weglaufen. Sie drehte sich andauernd nach ihr um und lächelte. Ihre langen, schwarzen Haare waren nicht mehr zu Zöpfen gebunden, sondern hingen offen herunter. Der Abstand zu Haydee wurde größer. Anja wollte sie nicht verlieren und begann zu laufen und schließlich zu rennen, immer stärker nach Luft ringend. Haydee war schneller. Sie berührte mit den Füßen kaum den Boden und glitt mit einer unglaublichen Leichtigkeit voran. Schließlich war sie kaum noch zu sehen. Anja blieb keuchend stehen. Vornüber gebeugt stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab. Als sie sich umdrehte, war sie alleine. In einiger Entfernung sah sie einen Friedhof. Die Genealogin in ihr meldete sich zu Wort. Anja näherte sich der Begräbnisstätte.
Ein Tor stand offen. Grabgebäude. Im Zerfall begriffen. Risse im Beton. Verblichene Farben. An anderen Stellen waren in Mauern Kammern eingelassen, um Urnen aufzunehmen. Einige Türen hingen teilweise abgerissen herunter. Von der Sonne gebleichte Kunststoffblumen. Fotografien, auf denen kaum noch etwas zu sehen war. Reste von Urnen. Ein Ort des aktiven Zerfalls. Verrostete Eisenkreuze.
Ein Mann schaufelte Zement in die Mischmaschine. Staub. Auf seiner Kleidung. Staubwolken aus der Mischmaschine. Staub
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