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Puna - Toedliche Spurensuche

Puna - Toedliche Spurensuche

Titel: Puna - Toedliche Spurensuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Scholze
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schon. Nur mein Bein tut etwas weh«, antwortete sie der jüngeren der beiden Frauen.
    «Sie sind einfach so über die Straße gerannt ...«, sagte die Frau mittleren Alters.
    Anja stand auf und schaute sich um. Nathan war nicht mehr zu sehen. Wohin war er verschwunden.
    »Haben Sie gesehen, wo der Mann von dort hingegangen ist ?« , fragte sie.
    »Nein. Wieso fragen Sie ?«
    »Er hat eine Freundin auf dem Gewissen .«
    »Entschuldigen Sie, wer sind sie ?« , fragte die Frau aus dem Auto.
    »Koswig. Ich heiße Anja Koswig. Und Sie?«
    »Maria Assunta. Dann wollten wir uns hier treffen ?«
    »Ja, aber ich habe es mir anders vorgestellt. Zumindest nicht so schmerzhaft.«
    »Darf ich Sie zum Essen einladen? Sozusagen als kleine Wiedergutmachung!«
    Maria Assunta war Anfang 50. Ihre schwarzen Haare zu einem Knoten gesteckt, gaben ihr die Ausstrahlung einer Tangotänzerin. Ein braunes Langarmshirt mit Wasserfallkragen über einer khakifarbenen Leinenhose. Braune Ballerinas aus weichem Leder mit zwei überkreuzten Riemchen, die auf den ersten Blick wie flache Kordeln aussahen. Sie wirkte bodenständig und gleichzeitig elegant. Ihre schwarzen Augen versprühten Energie und konnten zur selben Zeit sehr mitfühlend sein.
    Als sie später bei einem Orangensaft auf das Essen warteten, berichtete Anja von ihrer schwierigen Suche nach Kindern von Bettina Staller.
    »Kennen Sie den sogenannten ‚Nacht-und-Nebel-Erlass von 1941 ?« , fragte Maria Assunta.
    »Ich glaube nicht .«
    »Hitler setzte in den besetzten Gebieten auf Abschreckung. Wenn seine Gegner lange Zeit inhaftiert seien, sei das ein Zeichen von Schwäche, so seine Auffassung. Deshalb gab er 1941 diesen Erlass heraus. Wenn ein kurzer Prozess mit Todesurteil nicht wahrscheinlich war, wurden die Verdächtigen nach Deutschland transportiert, dort heimlich abgeurteilt und in Einzelhaft genommen. Es gab keine Kontakte nach draußen. Für ihr Umfeld dieser Menschen waren sie spurlos verschwunden.
    Die Militärregierungen Südamerikas verfügten über die Berater, die praktische Erfahrungen mit dieser Methode hatten. Es gab genug Nazis, die nach Südamerika geflohen waren. Und deren Wissen war gefragt. Es konnte passieren, dass kommunistische Studenten in Bolivien, zum Beispiel in Oruro, Besuch auf dem Campus bekamen. In Zivil natürlich. Sie mussten mitkommen, wurden befragt und in Isolationshaft genommen. Dann wurden sie zum Beispiel nach Argentinien gebracht und dort verurteilt. Von den Freunden und Angehörigen wusste niemand etwas über den Verbleib. In den Akten tauchten keine Informationen auf. Das macht es so schwierig, diese Verbrechen aufzuklären .«
    »Das erklärt auch, weshalb ich solche Schwierigkeiten hatte. Bettina Staller ist als Kommunistin vor den Nazis nach Südamerika geflohen. Ihr Freund wurde damals in Deutschland getötet. Sie lernte einen neuen, für sie wichtigen Mann in Chile kennen. Er war ebenfalls Kommunist. Nachdem der Weltkrieg zu ende war, kam die Familie erneut in Konflikt mit den Nazis, die dieses Mal von anderem Boden aus operierten. Soweit meine Informationen reichen, müssten der neue Lebensgefährte und ihr gemeinsamer Sohn als Kommunisten interniert worden sein. Aber danach finde ich kaum Hinweise oder Antworten«.
    »Von einem Teil der Todesopfer fehlt jede Information. Sie scheinen niemals existiert zu haben oder sind von einem Moment auf den nächsten für immer verschwunden. Die Militärregierungen haben ganze Arbeit geleistet. Ich habe vor Jahren Gefangene gesprochen, die in Bolivien interniert waren. In den Kellern, in denen die Gefängnisse untergebracht waren, gab es keine Spuren, dass es dort überhaupt jemals Gefangene gegeben haben könnte. Sie berichteten davon, dass noch nicht einmal die räumlichen Verhältnisse ihre Berichte hätten beweisen können. Vielleicht wurden die Areale rechtzeitig zugemauert? Es fehlen Massengräber, in denen Tote verscharrt worden sein müssten. Teilweise sollen Menschen einfach aus dem Hubschrauber über dem Ozean abgeworfen worden sein. Ich glaube, dass das zwar für manche südamerikanischen Länder gilt, aber nicht für Bolivien. Es gibt viele Schicksale und nur wenige Spuren. Das macht die ganze Aufarbeitung schwer«.
    Anja sah Maria in die Augen. Da steckte so viel Leidenschaft. So viel Energie.
    »Frau Koswig, sie müssen sich einmal in die Rolle der Angehörigen oder Freunde versetzen. Ihr Mann, Vater oder Freund ist verschwunden. Sie wissen nicht, ob er noch lebt oder schon

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