Puppenbraut
der Stirn weg.
Der Blick auf den gegenüberliegenden Wecker verriet ihr, dass sie noch etwas Zeit zum Herumliegen hatte. Um sieben Uhr am Samstag konnte sie eh nicht besonders viel tun, außer bei einem Kaffee die Zeitung zu lesen. Alleine. Sie entschied sich, den Tag etwas anders zu beginnen. Die Bettwäsche auf der anderen Seite ihres Ehebettes war ordentlich zusammengelegt. Wie immer. Und so kalt. Viel zu kalt!
Leise, fast auf den Zehenspitzen, verließ sie das Schlafzimmer. Die leeren Gänge des totenstillen Hauses hauchten ihr immer noch etwas Ehrfurcht ein. Geräuschlos öffnete sie die Tür zum Kinderzimmer ihrer Tochter. Während sie sich ganz vorsichtig neben Cassy legte, hörte sie das Kind ganz ruhig atmen. Diese Melodie brauchte sie jetzt ganz dringend. Existenziell.
Doreen umarmte ihr irgendwann groß gewordenes Baby so eng, dass sie den Geruch ihres Haares wahrnehmen konnte. Sie spürte die Wärme dieses kindlichen Körpers. Mit diesem wohligen Gefühl schloss sie die Augen und versank beinahe sofort in einen tiefen, ruhigen Schlaf.
*****
Ein leichtes Kraulen brachte sie augenblicklich in einen wachen Zustand. Dass sie nicht mehr schlief, ließ sie sich natürlich nicht anmerken, und genoss die sanfte Zärtlichkeit, solange Cassy Geduld bewies. Vorsichtig, um ihr Kind nicht zu erschrecken, drehte sie sich nach einer Weile um.
Ihre Tochter kicherte bereits. Lächelnd küsste Doreen sie auf die Stirn. Genau dieser kleine Engel war der Grund dafür, dass sie die therapeutischen Sitzungen, die sie seit dem Vorfall mit Zoey begonnen hatte, langsam abschließen konnte.
„Cassy, mein Schatz, wollen wir jetzt aufstehen? Fast peinlich, aber es ist schon neun Uhr! Ich könnte uns ein typisches Sonntagsfrühstück am Samstag machen. Was hältst du davon?“
„Oh, ja!“ Cassy war für eine gemeinsame Mahlzeit immer zu haben. „Mit Spiegelei?“
„Na klar, aber nur, wenn wir sofort aufstehen!“, lachte Doreen. „Und ich bin Erster im Bad!“ Mit diesen Worten erhob sie sich eilig aus dem Bett, doch noch langsam genug, dass ihr Kind sie überholen konnte.
Etwas Gutes hatte die Entführung doch mit sich gebracht. Seit sechs Monaten verbrachten sie jedes Wochenende zusammen und schufen somit für Cassys beliebte Babysitterin, Ivy, jede Menge Freiraum für ein eigenes Privatleben. Mit der Zeit lernten sowohl Ivy als auch Cassy die Vorzüge dieser Veränderung zu schätzen. Das Klingeln des Telefons unterbrach das fröhliche Kichern in der Küche. Doreen sah die bekannte Nummer auf dem Display, deshalb verzichtete sie darauf, das herumtollende Kind zur Raison zu bringen. Sie hob ab.
„Na, du meine arbeitende Schönheit!“, sagte sie mit einem verführerischen Unterton.
„Ach, meine beiden Prinzessinnen sind also auch schon wach? Na so was!“, sagte Raffaella Bertani mit einem gespielt vorwurfsvollen Unterton in der Stimme.
„Gerade aufgestanden, Eure Majestät!“, entgegnete Doreen lächelnd.
„Ich habe eine tolle Überraschung für euch! Könnten wir uns in etwa zwei Stunden im Zoo treffen? Vielleicht in diesem Pavillon, wo die vielen Affen untergebracht sind? Draußen ist es, trotz des warmen Frühlings, bestimmt noch recht frisch. Was sagst du dazu?“
„Musst du nicht heute noch arbeiten, Schatz? Ich meine, an dem neuen Fall?“, fragte Doreen leicht besorgt.
„Ree, für heute mache ich Schluss mit der Arbeit! Ich freue mich auf einen fantastischen Samstag mit euch! Beeilung, meine Ladies!“
„Bevor ich deinen Plan Cassy mitteile, lege ich lieber auf, weil mir dein Trommelfell wichtig ist. Bis gleich. Und... Ich liebe dich!“
„Und ich dich erst!“ Bevor Raffaella Bertani auflegte, nahm sie die Wärme dieses früher unüberlegt gesagten Satzes wahr, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Offensichtlich fühlte sich so bedingungslose Liebe an.
Eine Stunde später passierte Doreen mit Cassy Händchen haltend den Eingang vom beliebten Bronx Zoo. Es war unnötig, dem Kind vorzuschlagen, eine weitere Stunde zu warten, bis sie Raffaella trafen. Wenn es um Tiere ging, konnte es ihrer Tochter nicht schnell genug gehen.
Sie nahmen die Richtung zum Monkey House. Es war genau wie früher, erinnerte sich Doreen mit Freude. Besonders an jene Situation, als Cassy etwa dreieinhalb Jahre gewesen war. Sie standen vor dem Giraffengehege.. Nachdem die Tiere die gesamte Aufmerksamkeit ihres Dreikäsehochs absorbiert hatten, entfuhr Cassy ein Satz, der aufgrund der
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