Puppenbraut
Vergeblich. Es war nichts zu machen!
„Ell, Schatz! Hörst du mich, Liebes?“, wisperte sie. „Wach auf!“ Keine Antwort kam zurück. Sie versuchte es nochmal, mit gleichem Ergebnis.
„Keine Sorge, sie hört dich schon sprechen! Nur antworten kann sie nicht!“, sagte ihr Peiniger, als er die Schwelle zu ihrem Gefängnis betrat. „Habe ihr etwas Pancuronium nachgespritzt. Schließlich sollen mir meine einzigen Zeugen meine Hochzeit nicht vermiesen! Sei doch froh, Mutter, dass ich euch auserwählt habe, diese wahre Seltenheit mitzuerleben. Wie aus einer kleinen Raupe ein wunderschöner Schmetterling wird. Was für ein von Freude erfüllter Tod!“
„Was willst du von uns?“ Doreens sonst so selbstsichere Stimme wich einem resignierten Unterton.
„Ihr werdet sehen, wie viel Spaß wir miteinander haben, bevor eure Lungen durch eine letzte Dosis des Mittels ihre Arbeit einstellen werden! Du hast gelogen, Mutter! Zoey ist kein Kind mehr, und das werde ich dir heute beweisen!“, klang er mehr als überzeugt. Es war Wahnsinn!
„Wenn Sie uns gehen lassen, werden wir nichts verraten! Ich verspreche es Ihnen!“ Ree versuchte sich an jeden Strohalm, auch den aussichtslosesten, zu klammern. Vielleicht half es, wenn sie durch das Siezen dieses Irren Distanz schaffte?
„Aber Doreen!“, seine Stimme klang plötzlich fast zärtlich. „Meine schöne, junggebliebene Mutter. Was meinst du, warum ich euch zu der Hochzeit eingeladen habe? Weil ich sie liebe, natürlich! Weil ich dich liebe, obwohl du mich verlassen hast.“
„Ich bin nicht Ihre Mutter. Sie irren sich!“ Doreen versuchte verzweifelt, einem Wahnsinnigen mit rationalem Denken zu begegnen. Vergebliche Mühe. Er ignorierte sie.
„Hören Sie!“ Ree änderte nochmals die Taktik. Das Mädchen war jetzt ihre letzte Rettung. „Zoey ist noch ein Kind! Lassen Sie sie gehen! Sie waren doch auch mal ein Kind! Erinnern Sie sich doch mal daran! Die Kleine hat Angst vor Ihnen!“
„Nein!“, schrie er plötzlich ganz schrill. „Sie hat keine Angst! Sie liebt mich! Das hat sie mir gesagt! Und du wirst es nicht ändern, Mutter! Aber du kannst deiner Raffaella einen schönen oder einen ganz schlimmen Tod bescheren, wenn du nicht die Klappe hältst!“ Ganz offensichtlich hatte Doreen etwas angesprochen, was dieser Mann nicht hören wollte. Reizen wollte sie ihn jedoch nicht. Sie wusste nicht, wohin dieser Weg führte, und ihre Existenzangst war mittlerweile immens! Daher beschloss sie zu schweigen, während in ihrem Kopf ein neuer Fluchtgedanke aufkeimte.
Mit stoischer Ruhe widmete er sich wieder der Vorbereitung seiner imaginären Hochzeit, was auch immer dieser Unmensch darunter verstand. Er wechselte die Laken von der Pritsche, auf der Doreen die Zeit dieser Hölle auf Erden verbracht hatte.
Mit einer bordeauxfarbenen Decke, die er anschließend darauf legte, wirkte das Gestell schon fast wie ein annehmbares Bett. Im Freudenhaus, verstand sich. Die weißen Rosenblätter, die er darauf streute, wirkten bereits jetzt wie stumme Zeugen des Unrechts. So wie die Kerzen, die er auf dem Boden ausbreitete. Die Szenerie wirkte so grotesk, dass sich Doreen langsam fragte, ob sie nicht einfach nur einen furchtbaren Albtraum hatte, aus dem sie gleich aufwachen würde. Doch nichts dergleichen passierte!
Akribisch folgte sie diesem Mann mit ihrem Blick, um die Chancen für einen letzten Ausbruch einzuschätzen. Was würde sie tun, wenn er sie endlich losgebunden hatte? Vielleicht könnte sie ihn irgendwie überwältigen? Dazu musste sie ihre ganze Kraft sammeln! Soweit ihr Rumpf sich bewegen ließ und die Fesseln keine unerträglichen Schmerzen bereiteten, suchte sie nach einem Gegenstand im Zimmer, welchen sie ihm mit voller Wucht gegen den Kopf schmeißen konnte. Zur Not ging auch der Stuhl, auf dem sie saß, so hoffte sie zumindest. ‘Mit allerletzter Kraft werde ich es schaffen!’, beruhigte sie sich.
„So! Das wäre fertig!“, beendete der Mann selbstzufrieden seine grausame Zeremonie. „Nun widme ich mich meiner wunderschönen Braut! Doch damit du in der Zwischenzeit keinen Unsinn anstellst, werde ich auch dir etwas Entspannung schenken! Angenehme Hochzeit, meine Liebe!“
Mit diesen Worten hob er eine Spritze vom Bett, die so zierlich wirkte, dass sie Doreens Aufmerksamkeit vorhin entgangen war. Panik ergriff ihre Gedanken. Sie schrie herzzerreißend.
„Bitte nicht! Bitte!“, flehte sie von Angst erfüllt, während er sich ihr näherte.
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