Puppenfluch
ich?«
»Das haben sie meiner Tante versprochen«, schluchzte Irina. »Sie haben gesagt, wenn ich aus Schweden verschwinde und niemandem etwas erzähle, dann lassen sie uns in Frieden. Solange ich den Mund halte, was Oleg und meine Reise nach Schweden angeht, müssten wir uns keine Sorgen machen.«
Sie machte eine hilflose Geste mit den Armen.
»Glaub mir, ich habe selbst schon den ganzen Weg hierher darüber nachgedacht, dass sie sich möglicherweise nicht an ihr Versprechen halten, aber ich habe keine Wahl, Siri – ich muss nach Hause! Ich kann ohne Bab nicht leben! Schon gar nicht in dem Wissen, dass ich sie und meine Tante im Stich gelassen habe ... Ich versuche nur, das zu tun, was ich für richtig halte!«
Siri überlegte. Warum wollten die Typen Irina nach Kaliningrad zurückzwingen? Damit sie keine Aussage machen konnte ... oder einen von ihnen identifizieren,Schließlich war mit Irina von Anfang an alles schiefgegangen und das nur wegen Siri. Aber war es vielleicht trotzdem gut, wenn Irina nach Hause flog? Würden Wiker und seine Leute dann auch sie in Ruhe lassen?
»Du, Irina«, sagte sie ernst. »Du hattest Glück, dass sie nicht wussten, wo du warst. Sie hätten dich sonst sicher nicht nach Hause fahren lassen ...«
Sie wollte den Satz nicht zu Ende bringen. Irina hörte ohnehin nicht richtig zu.
»Ich habe gesagt, dass ich sofort zurückkomme. Meine Bab! So lange sie ihr nur nichts antun, bis ich wieder da bin!«
Ihr Blick war so angsterfüllt, dass Siri stutzte. War das so, wenn man Kinder hatte? War es so quälend, sich um sein Kind zu sorgen? Fühlte ihre Mutter dasselbe, wenn Siri etwas zustoßen sollte?
»Siri«, fuhr Irina fort, »du musst mir helfen! Mein Geld reicht nicht für ein Flugticket. Und ich muss heute noch los. Ich kann nicht länger warten.«
Siri schluckte. Soeben löste sich ihr Flugschein in Luft auf. Sie konnte richtig vor sich sehen, wie die Flugstunden, die sie sich so mühsam zusammengespart hatte, all diese wunderbaren Flugstunden, für immer verschwanden. Doch hier ging es um Menschenleben. Sie hatte sich schon mal falsch entschieden, in dieser ersten Nacht auf dem Flugplatz, sie hatte nicht vor, denselben Fehler noch einmal zumachen. Alles andere, sogar ihr Flugschein, kam ihr plötzlich so unwichtig vor.
»Alles wird gut«, sagte Siri und versuchte, Entschlossenheit auszustrahlen. »Wir gehen jetzt hoch an den Computer und buchen ein Flugticket. Ich bezahle. Aber erst müssen wir die Polizei anrufen und ihnen sagen, dass du wieder aufgetaucht bist. Sie suchen nach dir.«
Irina starrte sie mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, als würden alle Geräusche verstummen.
»Nein«, sagte Irina leise. »Keine Polizei. Das haben sie meiner Tante gesagt. Sonst ...«
»Aber Irina«, bat Siri eindringlich. »Sie werden es nie erfahren! Ich muss doch nur Kommissarin Björk anrufen. Sie ist wahnsinnig nett ... Sie wird dafür sorgen, dass niemand ...«
Siri schwieg. Irina saß ihr reglos und käseweiß gegenüber. Sie stand auf und bewegte die Lippen, aber es kam kein Wort heraus. Dann ging sie langsam in die Diele.
Was hat sie vor?, dachte Siri und folgte ihr.
Irina zog ihre Stiefel an und griff nach ihrer Tasche.
» Goodbye, Siri «, sagte sie tonlos.
»Nein, nicht doch, Irina!« Siri schrie fast. »Bist du verrückt! Wo willst du hin?«
Irina sah sie an, mit Pupillen, die so groß waren, dass sie mit der Iris eins zu sein schienen.
»Ruf die Polizei nicht an«, bat sie.
Siri zögerte. Sie begriff, dass sie einen Menschen vor sich hatte, dessen Angst so unfassbar groß war, dass Vernunft keine Rolle mehr spielte.
Siri gab auf.
»Gut«, sagte sie. »Ich rufe sie nicht an.«
Siri fluchte zornig. Seit einer Stunde hatte sie jede einzelne Fluggesellschaft, die Kaliningrad anflog, im Internet aufgerufen und nicht ein einziges Ticket gefunden, für das ihr Geld gereicht hätte.
»Schau hier«, sagte sie zu Irina. »Die wollen zwanzigtausend Kronen. Das ist doch unverschämt! Und weißt du warum? Genau, nur weil du es eilig hast. Wenn du genauso gut nächste Woche fliegen könntest, würde es nur dreitausend kosten. Das sind solche Halsabschneider!«
Irina stöhnte und stützte den Kopf auf die Hände. Die meiste Zeit, in der Siri vor dem Rechner gesessen hatte, war sie auf und ab gelaufen.
»Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte sie hilflos. »Woher soll ich so viel Geld nehmen?«
»Wie spät ist
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