Puppengrab
Kratzer, Süße«, sagte Beth und atmete endlich erleichtert auf. »Alles wird wieder gut.«
»Ich bin auf dem S-Stein ausgerutscht«, stotterte Abby, während sie auf einen Felsbrocken im Sand deutete.
Sheridan kniete sich hin. »Wie wäre es, wenn wir deinem Aua ein Heilungsküsschen geben?«
Beth schüttelte den Kopf. »Das hat bei Abby noch nie funktioniert. Heilungsküsschen helfen …«
Doch Sheridan nahm auf ihren Einwand keine Rücksicht und gab Abby einen Kuss aufs Bein. Kämpfer, Beschützer, Verteiler von Heilungsküsschen.
Beth spürte, wie es ihr den Hals zuschnürte. Es war verrückt, sogar kindisch, zu glauben, dass Sheridan jetzt, wo sie sich ihm anvertraut hatte, ihre Sorgen wegzauberte. Sie war kein Kind mehr. Und abgesehen davon waren
ihre
Wunden schon sehr alt – vernarbt und taub, nicht frisch und blutend. Ihr Schmerz war schon seit Jahren geheilt.
»Bitte jetzt keine Widerreden oder Erklärungen«, flüsterte Sheridan ihr ins Ohr. »Wir bringen Abby sofort zu deinem Wagen.«
»Was …«
Er legte ihr einen Finger an die Lippen, und aus einem Grund, der sich nicht mit Logik erklären ließ, tat Beth, was er wollte. Sie folgte ihm, als er Abby ein täuschend echtes Lächeln voller Sorglosigkeit zuwarf und ihre kleine Hand in seine nahm.
Beths Pulsschlag beschleunigte sich, als sie durch den Park eilten, und Sheridan forderte Abby zu einem Wettlauf zum Parkplatz auf. In kürzester Zeit hatte er sie auf dem Rücksitz des SUV angeschnallt, wie Beth abwesend bemerkte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
»Was ist los? Warum hast du es plötz…«
Mit einer Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. Mit der anderen Hand hielt er sich bereits das Handy ans Ohr. »Billings soll an ihr dranbleiben«, sagte er. Schweigen. »Gut.«
Beth war sprachlos. »Erklärst du mir bitte, was los ist?«
»Nicht jetzt. Du musst fort von hier.« Sein Blick war unerbittlich. »Du fährst jetzt sofort nach Hause und wartest dort, bis ich mich wieder bei dir melde.«
»Ich akzeptiere keine Befehle von …«
»Verdammt noch mal, Beth, vertrau mir! Ich kümmere mich um alles.«
Ich kümmere mich um alles. Überlass das nur mir.
Er musste die Angst in ihren Augen gesehen haben. Als er ihre Schultern umfasste, war seine Stimme nur noch ein Flüstern. »Beth, versprich mir, dass du nach Hause fährst und dort wartest. Nur für eine Weile.«
Gegenargumente formten sich in ihrem Kopf, doch Sheridans nachdrückliche Bitte beschwichtigte ihren Protest. Das und der flehende Druck seiner Lippen auf ihren. Seine Finger vergruben sich in ihrem Haar. Er presste sich mit dem ganzen Körper an sie, und seine Lippen rangen ihr die Antwort ab.
»Also gut«, sagte sie schließlich.
Sampson, Pennsylvania
114 Meilen entfernt
Als Chevy Mo Hammonds Waffenladen betrat, klingelte ein absurd winziges Glöckchen. Mo bediente gerade einen Kunden – einen dicken Bauerntrampel im Holzfällerhemd, der ein Halstuch trug. Chevy ging durch den Laden, den Rücken Mo stets zugewandt, und betrachtete die Handfeuerwaffen und Pistolen. Fünf Minuten später, als der Bauerntrampel für eine Gratisstunde in Richtung Schießstand verschwand, schloss Mo die Munitionskiste ab und trat hinter dem Tresen hervor.
»Hallöchen«, sagte er. »Kann ich helfen?«
Chevy hielt sein Gesicht absichtlich nach unten gerichtet und tat, als erwog er den Kauf einer P 7 von Heckler und Koch, die vor ihm lag. »Kann schon sein. Mir wurde gesagt, dass man hierher kommen muss«, er konnte Mos finsteren Blick förmlich spüren, »allerdings nicht, um Waffen zu kaufen. Sondern um Pakete abzuholen.«
Mo starrte ihn an, dann fiel ihm die Kinnlade herab. »Großer Gott. Chevy?«
Chevy lächelte.
»Du alter Dreckskerl. Chevy.« Mo reichte ihm die fleischige Hand und drückte zur Begrüßung kräftig zu. »Du alter Dreckskerl.«
»Hast du nun ein paar Pakete für mich oder nicht, du fetter Pfundskerl?«
»Ja, ja, hab sie hier, Chev. Sind alle hier. Hab auch die aufgehoben, die ich dir nach Seattle schicken sollte. Dachte, du hast die anderen vielleicht vergessen. Ist ja ’ne Weile her.«
»Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich um alles kümmern konnte. Ich hoffe, das war kein Problem.«
»Nein, nein, natürlich nicht. Komm mit nach hinten. Hab sie dort aufgehoben, bis du dich wieder meldest.«
»Und du hast sie nie geöffnet?«
»Warum sollte ich? Hab sie nur ein einziges Mal angefasst, und das auch nur, weil ich vor zwei Jahren die Bude
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