Puppengrab
dahinter zeichneten sich Tausende kleiner Schusslöcher ab.
Neil blickte zum Himmel hoch. Die Vögel waren direkt über ihm. Sie flogen zwar höher, aber der Schwarm hatte sich noch nicht aufgelöst. Nach weiteren zehn Metern traf ihn der Gestank mit einem Schlag. Er öffnete den Mund und vermied es, durch die Nase zu atmen.
»Verdammte Scheiße«, sagte Grimes und hielt sich einen Ärmel vor die Nase.
Neil trat näher an die Zielscheiben heran und signalisierte Grimes mit erhobener Hand, stehen zu bleiben. Mo war ein Freund des Sheriffs. Neil ging an den Heuballen vorbei, fluchte und schloss die Augen.
Dann kehrte er zu Grimes zurück. »Ich habe ihn gefunden«, sagte er.
Die Spurensicherung übernahm. Mo Hammond war mit drei Schüssen aus nächster Nähe getötet worden. Es sah nach einer . 22 er aus. Nach seinem Tod war er von weiteren Schüssen getroffen worden, vermutlich stammten diese von Gewehren. Weitere Informationen würden noch Stunden auf sich warten lassen, da der Tatort momentan Zentimeter für Zentimeter abgesucht wurde. Neil blieb die erste Stunde vor Ort, ballte die Fäuste und wippte auf den Fußballen auf und ab, dann rief er Copeland an.
»Können Sie mir offiziell die Erlaubnis erteilen, Bankes’ Haus zu betreten?«
Copeland klang müde. »Sicher, aber wir haben schon alles durchsucht. Es sah aus, als habe sich seit Jahren niemand mehr dort aufgehalten.«
»Haben Ihre Jungs alles auseinandergenommen?«
»Nein, wir haben uns vorsichtig umgesehen, für den Fall, dass er zurückkommt. Es ist noch jemand vor Ort, der das Haus bewacht.«
»Ich würde mir gern selbst mit Rick einen Eindruck verschaffen.«
»Nur zu.«
Aus unerfindlichen Gründen hatte Neil eine verwahrloste viktorianische Villa auf einem Hügel vor Augen gehabt, ähnlich der gespenstischen Behausung von Norman Bates aus
Psycho.
Doch es war ganz anders. Bankes war in einem hübschen, zweistöckigen Haus neben einem Wald aufgewachsen, das vermutlich kurz nach der Großen Depression gebaut worden war. Man betrat es über eine breite Veranda. Die Hauswände waren verziert, und längs der Wege konnte man die Reste von Blumenbeeten erkennen. Die Pflanzen waren im Lauf der Zeit gewuchert, doch Neil stellte überrascht fest, dass das Haus damals bezaubernd gewesen sein musste.
Im Inneren das Gleiche: mittlerweile verwahrlost, früher sicher anheimelnd. Mo hatte die meisten Möbelstücke verscherbelt und auch alle anderen Gegenstände, die man irgendwie versilbern konnte, doch die Schatten eines Familienlebens waren geblieben. In der Küche stand ein Metalltisch mit einem zerbrochenen Bein, und im Wohnzimmer hingen noch Vorhänge. Die Schränke waren zwar leer, doch in einer Küchenschublade befand sich ein Sammelsurium aus alten Quittungen, losen Knöpfen, einigen Pennys und drei verrosteten Büroklammern. Neil sah sich die Quittungen genauer an: Eine bestätigte den Kauf von Benzin bei Grover’s. Die Tinte war so verblichen, dass er kaum den Betrag entziffern konnte – 59 , 9 Cent die Gallone im Jahr 1976 . Ach ja, die guten, alten Zeiten. Eine weitere dokumentierte den Kauf von Stoffwindeln aus dem Ramschladen.
Er legte die Quittungen in die Schublade zurück und sah sich weiter um. Das einzige Badezimmer befand sich im Erdgeschoss, und die drei Schlafzimmer – zwei im ersten Stock, eines im Erdgeschoss – waren leer bis auf wenige Möbelstücke, die zu schäbig waren, als dass man sie noch hätte verkaufen können. Eine Hälfte des Kellers schien als weiterer Schlafraum gedient zu haben. Der Boden war mit Teppich ausgelegt, darauf Spuren eines Doppelbetts, die gerade noch zu erkennen waren. Ein kaputter Nachttisch lehnte an der Wand. Das Zimmer des Großvaters, dachte Neil, aber es war nur eine Vermutung.
Rick betrat den Keller, als Neil gerade die Schublade des Nachttischs öffnete. Darin befand sich eine alte Bibel.
»Irgendetwas gefunden?«, fragte Rick.
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Neil und griff nach der Bibel.
Rick seufzte. »Wenn Bankes herkommen wollte, hätte er es schon längst getan. Vielleicht, nachdem er Mo umgebracht hat. Jetzt bestimmt nicht mehr.«
»Es sei denn, er plant, Beth hierherzubringen.«
Rick schüttelte den Kopf. »Er wird sich denken können, dass wir das Haus überwachen.«
Neil blätterte durch die Seiten der Bibel. Die erste Seite fehlte, sie war herausgerissen worden. Er runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, was üblicherweise auf der ersten Seite
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