Puppengrab
nicht da war, als sie mich gebraucht hätte. Ein paar Jahre danach hat sie mich sitzenlassen. Und ich habe mich auch abgesetzt. Kolumbien, Bosnien, Irak. Ich war überall, wo eine Schusswaffe gebraucht wurde und jemand, der bereit war, sie einzusetzen. Scheiß auf den Rest der Welt. Es hat gut funktioniert, bis mein Bruder fast umgekommen wäre.« Er sah ihr in die Augen. »Und ich dir begegnet bin.«
»Ich habe dich nie mit meinen Problemen belasten wollen«, sagte sie aufrichtig.
»Ja, das hast du von Anfang an klargemacht. Doch alles an dir hat mich fasziniert, Beth. Du bist wunderschön, geheimnisvoll und unabhängig. Mutter eines kleinen Mädchens, das vielleicht in etwas hineingezog…« Er brauchte eine Minute, um sich zu sammeln. »Ich konnte einfach nicht weggehen.«
Deswegen wollte er also den Drachen für sie töten, weil er damit auch seinen eigenen erlegte.
Beth schmiegte ihre Wange an sein Knie und saß stumm da. Er strich ihr mit einer Hand über das Haar, die andere spielte mit Mackenzies Haarspange. Es lag nichts Erotisches in seiner Berührung, und doch war der Augenblick so intim, dass sich Beth kaum mehr ein Leben ohne Neil vorstellen konnte. Wie mit Abby. Es gab keine Mutter auf der Welt, die nicht schon zehn Minuten nach der Geburt ihres Kinders vergessen hatte, wie es war, kinderlos zu sein. Das neue Lebewesen kam auf die Welt und nahm so viel Platz für sich ein, dass man sich diese Welt nicht mehr ohne dieses Wesen vorstellen konnte. Wie leer musste sie also sein, wenn es verschwunden war.
Sie setzte sich auf das Sofa, schlug die Beine unter und hielt seine Hand in ihrer. »Erzähl mir von Mackenzie«, bat sie leise.
Und das tat er.
[home]
31
U m Viertel nach eins hörte Neil, wie Beth aufstand. Ein Lichtschein schimmerte unter der Tür hindurch, dann kam sie aus ihrem Zimmer. Sie trug ein T-Shirt, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte und mit Pu dem Bären bestickt war. Er fluchte. Wie konnte eine Frau bloß so sexy aussehen, obwohl ein Honigtopf auf ihrer Brust prangte?
»Kannst du nicht schlafen?«
Sie erschrak, als sie seine Stimme hörte. Er schob die Karten auf dem Couchtisch zusammen.
»Nein, wohl nicht. Und was ist mit dir?«
Er mischte und ließ die Karten im Bogen von einer Hand in die nächste flattern. »Konnte mich nicht entspannen.«
»Musstest du noch an Mackenzie denken?«
»Nein«, erwiderte er überrascht. »Nein, zum ersten Mal seit neun Jahren fühlt sich Mackenzie wie das wunderbare Geschenk an, das sie gewesen ist, nicht wie der Schmerz eines Phantoms. Ich danke dir dafür.«
Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. »Ich will noch mehr hören.«
»Das wirst du. Aber nicht jetzt.« Sein Blick blieb auf der Schwellung unter Pu dem Bären hängen. »Jetzt habe ich etwas anderes im Sinn.« Er wartete ab, sah, dass ihre Wangen gerötet waren, dann mischte er erneut und hielt ihr die Karten entgegen. »Spielchen gefällig?«
Sie runzelte die Stirn. »Du willst Karten mit mir spielen?«
»Verdammt, eigentlich nicht«, erwiderte er ehrlich. »Aber es wäre ein Anfang. Poker?«
»Ich weiß nicht, ich bin nur aufgestanden, weil ich …«
»Weil du nicht schlafen konntest. Spiel ein wenig Karten mit mir, Beth, bleib hier.« Sein Vorschlag steckte so voller versteckter Andeutungen, dass sich Neils Brust zusammenzog. Sie wusste nun, wer er war: Ein Mann, der Frau und Tochter im Stich gelassen hatte. Wenn sie ihn trotzdem wollte, gab es vielleicht doch noch etwas Hoffnung für ihn.
Und er verstand, welche emotionale Last sie mit sich trug. Max hatte angerufen. Die Ergebnisse der Untersuchung von Abbys Haaren war da und damit eine vorläufige DNS -Analyse.
Neil verdrängte die weißglühende Wut und klopfte auf das Sofa neben sich. Beth nahm Platz, während er austeilte.
»Um was spielen wir?«, fragte Neil.
»Du musst erst sagen, was wir spielen, bevor wir einen Einsatz festlegen können.«
»Was hat Suarez dir beigebracht?«
Sie reagierte empört. »Was bringt dich auf die Idee,
er
hätte
mir
etwas beigebracht? Ich bin eine ausgezeichnete Pokerspielerin.«
»Okay, Doc Holliday. Sag an, welches Spiel wir spielen, und ich nenne dir den Einsatz.«
»Schön«, meinte sie. »Five Card Draw.«
»Gut«, erwiderte er. »Küsse.«
»Wie bitte?«
»Du weißt schon, man spitzt die Lippen und legt sie auf die …«
»Ich weiß, wie das geht. Aber ich verstehe den Einsatz nicht.«
Neil ordnete sein Blatt und lehnte sich zurück. »Ganz einfach. Wenn ich
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