Puppenmord
auf die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen. Sie ging hinein und machte die Tür zu, als ein Milchwagen in den Hof fuhr. Eva hörte den Milchmann ein paar Flaschen abstellen und dann wegfahren. Sie drehte sich um und ging durch den Flur zur Eingangsdiele. Wenn sie das Telefon fände, könnte sie Henry anrufen, und er könnte im Wagen rauskommen und sie holen. Sie würde wieder zur Kirche zurückgehen und dort auf ihn warten. Aber die Diele war leer. Sie steckte den Kopf ganz vorsichtig in mehrere Zimmer und sah, daß zum größten Teil keine Möbel oder nur mit Staubüberzügen verhüllte Sessel und Sofas drin standen. Auch hier war alles unglaublich liederlich.
Der Pfarrer war unverkennbar nicht verheiratet. Endlich fand sie sein Arbeitszimmer. Ein Telefon stand auf dem Schreibtisch. Eva ging hinein, hob den Hörer ab und wählte Ipford 66066. Es meldete sich niemand. Henry war sicher in der Schule. Sie wählte die Nummer der Berufsschule und fragte nach Mr. Wilt.
»Wilt?« sagte das Mädchen in der Vermittlung. »Mr. Wilt?«
»Ja«, sagte Eva mit leiser Stimme.
»Ich bedaure, aber er ist nicht da«, sagte das Mädchen.
»Nicht da? Aber er muß da sein.«
»Tja, ist er aber nicht.«
»Aber er muß doch da sein. Es ist furchtbar wichtig, daß ich ihn erreiche.«
»Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Aber . . .«, fing Eva an und sah rasch aus dem Fenster. Der Pfarrer war zurückgekommen und kam gerade den Gartenweg herauf. »O Gott«, murmelte sie und legte eilig auf. Sie drehte sich um und rannte völlig kopflos aus dem Zimmer. Erst als sie durch den Flur gelaufen und wieder in der Küche war, bemerkte sie, daß sie ihren Efeu im Arbeitszimmer ge lassen hatte. Schritte kamen den Flur runter. Eva blickte sich völlig außer sich um, entschied sich gegen den Hof und hastete eine Steintreppe in den ersten Stock rauf. Dort blieb sie stehen und horchte. Ihr Herz klopfte laut. Sie war nackt und mit einem Geistlichen allein in einem fremden Haus, und Henry war nicht in der Schule, wo er doch dort hätte sein müssen, und das Mädchen in der Vermittlung hatte sich sehr merkwürdig angehört, so als wäre irgend was verkehrt daran, Henry sprechen zu wollen. Sie wußte überhaupt nicht, was sie tun sollte.
In der Küche wußte Hochwürden St. John Froude ganz genau, was er tun wollte: für immer die Höllenvision auslöschen, zu der er von diesen widerlichen Dingern mit ihren sinnlosen über dem Wasser herumflatternden Botschaften verlockt worden war. Er kramte eine neue Flasche Teachers aus dem Schrank und nahm sie mit in sein Arbeitszimmer. Was er eben erlebt hatte, war so grotesk gewesen, so offenkundig böse, so grauenhaft, so Vorgefühl der Hölle selber, daß er sich nicht klar war, ob es Wirklichkeit oder bloß ein Alptraum am hellichten Tage gewesen war. Ein Mann ohne Gesicht, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt waren, eine Frau mit angemaltem Gesicht und einem Messer in der Hand, und diese Ausdrücke . . . Hochwürden St. John Froude korkte die Flasche auf und wollte sich gerade ein Glas eingießen, als sein Blick auf den Efeu fiel, den Eva auf dem Stuhl vergessen hatte. Er stellte die Flasche rasch ab und starrte auf die Blätter. Schon wieder so ein Rätsel, das ihn völlig durcheinanderbrachte. Wie konnte Efeu auf den Stuhl in seinem Arbeitszimmer kommen? Ganz sicher war er nicht dagewesen, als er aus dem Haus gegangen war. Er hob ihn vorsichtig hoch und legte ihn auf seinen Schreibtisch. Dann setzte er sich hin und sah ihn an, und ihm wurde immer beklommener zumute. Irgendwas ging um ihn vor, was er nicht begriff. Und diese merkwürdige Gestalt, die zwischen den Grabsteinen herumgehuscht war? Er hatte sie vollkommen vergessen.
Hochwürden St. John Froude erhob sich, trat auf die Terrasse und ging zur Kirche runter.
»An einem Sonntag?« schrie der Direktor von Sweetbreads, »an einem Sonntag? Aber am Sonntag arbeiten wir gar nicht. Da ist hier niemand. Da haben wir zu.«
»Letzten Sonntag aber nicht, da war hier jemand, Mr. Eisbein«, sagte der Inspektor.
»Eiswein, bitte«, sagte der Direktor, »Eiswein mit w.«
Der Inspektornickte. »Okay, Mr. Eiswein, ich wollte Ihnen lediglich mitteilen, daß dieser Wilt letzten Sonntag hier drin war und .. .«
»Wie ist er denn reingekommen?«
»Er hat auf dem Parkplatz eine Leiter hinten an die Mauer gelehnt.«
»Am hellichten Tage? Da wäre er gesehen worden.«
»Um zwei Uhr früh, Mr. Eisbein.«
»Eiswein, Inspektor,
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