Puppenrache
ans Telefon gehen. Es gab nur eine Möglichkeit: Er war es! Er war im Treppenhaus!
Ihr Herz hämmerte, ihr Atem kam stoßweise. Ihr Finger zitterte, als sie auf die Taste zum Auflegen drückte. Ausschalten, dachte sie, ich muss es ausschalten, damit er nicht das Klingeln hört… Zu spät, ihr Handy klingelte so laut, dass man es ganz sicher auch draußen hören konnte. Panisch rannte sie zum Sofa, stopfte das Handy unters Polster, wo es weiterklingelte. Er hatte Tims Telefon… und er wusste jetzt, hinter welcher Tür sie wohnte…
Hektisch entriegelte sie die Balkontür. Klemmte sich den Finger ein, stolperte über die Schwelle, nur raus, raus, ich muss raus hier! Sie sah hinunter. Zwei Stockwerke unter ihr befand sich der Hauseingang, einen Sprung würde sie unverletzt nicht überstehen. Um auf den benachbarten Balkon zu gelangen, müsste sie auf die Brüstung klettern und dann einen großen Schritt um einen Mauervorsprung herummachen. Höhe jagte ihr Angst ein, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Durchs Treppenhaus konnte sie nicht mehr entkommen. Er musste gleich da sein…
Also stellte sie sich einen Stuhl neben die Betonbrüstung, stieg hinauf, hielt sich an der Zwischenwand fest und schwang ein Bein auf den anderen Balkon. Doch dort stand kein Stuhl und ihr Fuß schwebte über dem Boden, ohne Halt zu finden. Sie musste sich mit Schwung dort hinüberfallen lassen. Einmal, zweimal, dreimal setzte sie an, erst beim vierten Mal hatte sie den Mut dazu und schwang sich hinüber. Und jetzt? Schnell, denk nach! Mach was!
Sie warf einen Blick durch die Scheibe der Balkontür. Die Wohnung war dunkel und wirkte unbewohnt. Sie könnte die Scheibe eintreten, aber die Wohnung war sicher abgeschlossen und sie käme gar nicht raus. Sie saß in der Falle. Ihr Herz pochte bis in den Hals und die Schläfen. Ihre Handflächen waren so feucht, dass sie sie an ihrer Hose abreiben musste. Denk nach, los, mach schon!
Jeden Moment würde er die Tür aufbrechen. Und wenn er Tims Schlüssel hatte? Mein Gott, dann musste er noch nicht mal das Schloss aufschießen oder sonst was machen!
Tim, flüsterte sie, bitte, hilf mir! Wie ist das nur passiert?
Ihr Blick fiel auf das Dachrinnenrohr. Nein, unmöglich, dachte sie erst, aber nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatte, stellte es sich als die einzige Rettung heraus. Also ging sie zum anderen Ende des Balkons, umfasste das abwärts führende Kunststoffrohr, kletterte auf die Brüstung und hoffte, dass das Rohr ihr Gewicht aushalten würde, wenn sie sich an ihm herunterlassen würde. Los! Los jetzt!
Ihre Füße versuchten, Halt an der Mauer zu finden, immer wieder rutschte sie ab, aber sie konnte sich mit den Händen am Rohr festhalten, und als sie es endlich bis zum Balkongeländer im ersten Stock geschafft hatte, stieß sie sich ab und sprang hinunter auf den Rasen. Es war doch höher, als sie gedacht hatte, und sie kam ziemlich hart auf dem Boden auf. Ein spitzer Schmerz durchfuhr ihren linken Knöchel, weiter, weiter, spornte sie sich an und rappelte sich auf, wollte weiter zur Straße… Da stolperte sie im Dunkeln über etwas Schweres, Weiches. Sie konnte sich gerade noch fangen. Was…?
Das war… da lag…
21
Tim… die Augen weit aufgerissen.
»Tim!« Etwas Dunkles hatte sich über seiner Brust ausgebreitet… Blut! »Tim! Bitte, Tim, sag doch was!« Sie rüttelte an seiner Schulter, streichelte seine Wange, aber er regte sich nicht. Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Über ihr, auf ihrem Balkon, konnte sie eindeutig die dunkle Silhouette eines Mannes erkennen. Ihr Herz hörte für einen Moment auf zu schlagen.
Er hat mich gefunden!, schoss es ihr durch den Kopf und instinktiv duckte sie sich tiefer, sodass ihr Gesicht dem von Tim ganz nah war. Beinahe hätte sie jetzt wirklich geheult, doch die Angst nahm ihr die Luft und sie kroch weiter in den Schatten. Ob er sie entdeckt hatte? Sie schaute nach oben, und als sie sah, dass sich die Gestalt auf dem Balkon abwandte, stürzte sie nach vorne auf die Straße. Aber wohin jetzt? In wenigen Sekunden hätte er kapiert, dass sie nicht mehr im Haus war, und dann wäre er sofort unten…
Da, vor ihr! Ein Auto mit laufendem Motor! Sie machte einen Schritt darauf zu. War es das vom Supermarktparkplatz? Ein Blick sagte ihr zumindest, dass niemand drin saß. Er musste das Auto also kurzgeschlossen haben.
Einen kurzen Moment lang war Sara verunsichert, was sie nun tun sollte. Doch es gab nichts zu überlegen. Sie konnte
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