Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
achselzuckend abzog, in Gedanken wahrscheinlich immer noch bei bezahlten Überstunden, befasste sich Wylie wieder mit dem Schicksal des deutschen Studenten Jürgen Becker. Sie musste an Boris Becker denken, der früher mal ihr Lieblingstennisspieler gewesen war, und stellte müßige Betrachtungen darüber an, ob der Student vielleicht mit dem Tennisstar verwandt gewesen war. Ziemlich unwahrscheinlich: Ein berühmter Verwandter hätte die Medien schon damals genauso ausrasten lassen, wie es jetzt bei Philippa Balfour der Fall war.
Aber wo standen sie eigentlich mit den Ermittlungen? Im Grunde genommen waren sie nicht einen Millimeter weiter als an dem Tag, da der Vater des Mädchens eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatte. Mochte Rebus auch noch so viele Ideen haben, nichts von alledem fügte sich zu einem Ganzen. Bisweilen kam es ihr vor, als ob er wahllos irgendwelche Möglichkeiten wie Früchte von einem Baum oder Strauch pflückte und dann erwartete, dass die anderen das Zeug einfach so schluckten. Einmal hatte sie bisher mit ihm zusammengearbeitet. Damals hatte man, kurz bevor das Queensbury House dem neuen schottischen Parlament hatte weichen müssen, bei Bauarbeiten in dem alten Gebäude eine Leiche entdeckt. Doch die Ermittlungen waren im Sande verlaufen. Und Rebus hatte sie, Ellen Wylie, am Ende einfach fallen lassen und sich geweigert, noch mal mit ihr über die ganze Geschichte zu sprechen. Und zu einem Verfahren war es auch nicht gekommen.
Trotzdem gehörte sie lieber zu Rebus' Team, als ganz allein dazustehen. Von Gill Templer hatte sie ohnehin nichts mehr zu erwarten, egal, was Rebus sagte. Außerdem wusste sie sehr gut, dass sie gravierende Fehler gemacht hatte. Sie war schlicht zu ehrgeizig gewesen, hatte Templer unaufhörlich genervt. Auch eine Art Faulheit: sich auf Biegen und Brechen vorzudrängen, immer wieder auf sich aufmerksam zu machen, damit man hinterher umso schneller befördert wurde. Und sie war sich auch darüber im Klaren, dass Templer sie genau deshalb gedemütigt hatte, weil sie das durchschaut hatte. Gill Templer selbst war jedenfalls nicht auf diese Weise nach oben gekommen, sondern hatte wie wahnsinnig geschuftet und sich hartnäckig gegen das niemals offen ausgesprochene Vorurteil zur Wehr gesetzt, dass Frauen für polizeiliche Führungsaufgaben nicht geeignet seien.
Doch das Vorurteil schien unausrottbar.
Wylie wusste, dass sie besser kleine Brötchen gebacken und den Mund gehalten hätte. So ging Siobhan Clarke vor, die zwar nie die Ellbogen benutzte, aber trotzdem ganz genau wusste, was sie wollte. Für Wylie war sie deshalb eine Rivalin. Templer hatte schon immer eine Schwäche für Siobhan gehabt, was Ellen Wylie umso mehr motiviert hatte, ihren Aufstiegswillen zu bekunden. Und jetzt war sie wieder ganz auf sich gestellt und konnte sich mit dieser beschissenen Jürgen-Becker-Geschichte herumärgern. Und das an einem Freitagnachmittag. War doch ohnehin kein Mensch zu erreichen, der ihre Fragen hätte beantworten können. Nichts als Zeitverschwendung. Zeitverschwendung war das.
Grant Hood war damit beschäftigt, eine weitere Pressekonferenz vorzubereiten. Inzwischen wusste er, welcher Name zu welchem Gesicht gehörte, und hatte auch schon mit den »alten Hasen« Kontakt aufgenommen, also den wichtigste Gerichtsreportern der Stadt.
»Übrigens, Grant«, hatte Hauptkommissarin Templer ihm anvertraut, »es gibt da ein paar Journalisten, die für unsere Anliegen ein besonders offenes Ohr haben. Diese Leute sind uns sehr gewogen. Sie bringen in ihren Blättern Meldungen die uns nützlich erscheinen, und halten Nachrichten zurück die unsere Ermittlungsarbeit erschweren könnten. In allen diesen Fällen ist eine solide Vertrauensbasis bereits vorhanden, dennoch handelt es sich natürlich um ein Geschäft, das auf Gegenseitigkeit beruht. Das heißt, dass wir diese Leute mit Informationen füttern, und zwar möglichst eine Stunde früher als die anderen.«
»Die anderen, Ma'am?«
»Ja, die Konkurrenz. Wenn man vor der Presse steht, kommen einem diese Medienleute wie eine homogene Masse vor, doch davon kann gar keine Rede sein. Manchmal arbeiten sie zusammen und schicken einen Kollegen los, damit er eine undankbare Recherche übernimmt. Hinterher muss er dann sein Wissen an die Meute weitergeben. Dabei kommt irgendwann jeder an die Reihe.«
Grant nickte.
»Doch dann ist es zwischen denen plötzlich wieder ein einziges Hauen und Stechen. Am schlimmsten sind die Schreiberlinge,
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