Puppentod
Art seines Vaters, seine Geringschätzung gegenüber Lisa zum Ausdruck zu bringen, obwohl er sie nicht einmal kannte. Doch sie kam aus keiner angesehenen Familie und besaß kein Vermögen, was genügte, sie als Schwiegertochter abzulehnen. Darüber ärgerte sich Michael maßlos.
Bemüht, sich seinen Missmut nicht anmerken zu lassen, lächelte er Lisa zu, während er ihr den Mantel abnahm. Dabei fiel ihm auf, dass sie heute Abend einen langen, schwarzen Mantel aus feinstem Wollstoff trug. Das verwunderte ihn, weil sie neulich keinen besessen hatte und sich auch keinen mehr hatte kaufen wollen. Dieser hier wirkte aber neu und war ein teures Designerstück, was er am Etikett erkannte. Überhaupt sah Lisa heute Abend aus wie eine vollendete Dame. Sie trug ein auberginefarbenes Kostüm mit knielangem Rock, schwarze Stiefel, ihr Gesicht war dezent geschminkt, und die Haare hatte sie kunstvoll nach oben gesteckt.
Der Erste, der sich von der Familie blicken ließ, war Yakko. Der schwarze Labrador strebte auf Lisa zu, beschnupperte sie ausgiebig, trottete dann zu Michael und ließ sich von ihm den Kopf kraulen.
»Das ist typisch für ihn«, erklärte Michael ihr. »Er ist Fremden gegenüber sehr zurückhaltend. Das hat er so von meinem Vater gelernt.«
»Und das ist auch gut so«, ertönte plötzlich Rudolfs Stimme.
Michael drehte sich um. Arm in Arm kamen seine Eltern wie ein verliebtes Pärchen auf ihn zu. Diesen Eindruck wollte Rudolf unbedingt vermitteln. Hauptsache, die Fassade stimmte. Ob Hilde wirklich glücklich war, spielte dabei eine unwesentliche Rolle. Sie hatte glücklich zu sein, wenn er das anordnete.
Ruckartig befreite sich Hilde aus Rudolfs Umarmung und ging in ihrer offenen Art direkt auf Lisa zu.
»Herzlich willkommen in unserem Haus«, sagte sie.
Zum ersten Mal an diesem Abend trat ein halbwegs gelöstes Lächeln in Lisas Gesicht. Dafür war Michael seiner Mutter sehr dankbar.
Sein Vater hingegen verzog keine Miene, als er Lisa die Hand gab. Allerdings fiel Michael auf, dass er sie von oben bis unten musterte, und seine Mimik verriet ein gnädiges Urteil.
Sie hatte ihn so charmant begrüßt, dass auch bei dem Senior das Eis bereits zu schmelzen schien. Sie wirkte sehr sicher und selbstbewusst, sah unglaublich gut aus. Wäre sie eine Millionenerbin, der alte Griesgram würde ihr glatt zu Füßen liegen.
»Wollen wir im Wohnzimmer einen kleinen Aperitif nehmen?«, fragte Hilde.
»Unsinn«, rief Rudolf. »Ich denke, das Essen ist fertig. Ich habe Hunger.«
»Natürlich«, erwiderte Hilde sanft und lächelte in die Runde.
Die Fassade vom ewig verliebten Pärchen und der vollkommenen Harmonie begann bereits abzublättern.
Sie gingen ins Esszimmer. Alles in diesem Raum passte perfekt zueinander, die polierten Kirschholzmöbel zu den beigen Teppichen, die champagnerfarbenen Damastgardinen zu den Stuhlkissen und die wiederum zu der Tapete in zarten Terrakottatönen. Mit dieser Liebe zum Detail hatte Hilde auch den Tisch gedeckt und wie Michael feststellte, das beste Geschirr aus dem Schrank geholt. Das tat sie nur für ganz besondere Anlässe. Er zwinkerte ihr zu. Seine Mutter sah ihn liebevoll an.
Inzwischen kümmerte Rudolf sich um den Wein. Das gehörte zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, denn er bezeichnete sich selbst als großen Weinspezialisten und war stolz darauf, seine Rotweine aus Saint-Émilion und die Weißen von der Loire kommen zu lassen.
»Ich hoffe, Sie mögen einen fruchtigen Sancerre«, wandte er sich an Lisa und schwärmte ihr davon vor, bis sie freundlich erwiderte: »Ich trinke keinen Alkohol.«
Rudolf hielt inne. »Überhaupt keinen?«
»Nein«, sagte sie. »Nie.«
Daraufhin brummelte er etwas in sich hinein, was glücklicherweise niemand richtig verstand, weil Hilde ihn sofort übertönte: »Aber das ist doch überhaupt kein
Problem. Wir können Ihnen einen alkoholfreien Cocktail mixen, und wir haben auch verschiedene Säfte im Haus.«
Lisa jedoch bat um ein Glas Wasser.
Während Hilde ihr einschenkte, sagte sie: »Michael hat uns erzählt, dass Sie beide gemeinsam in der Karibik einen Tauchkurs besucht haben.«
»Jetzt bringst du wieder alles durcheinander, Mama«, schimpfte Michael und warf seiner Mutter einen strengen Blick zu. »Ich habe den Tauchkurs gemacht, und Lisa war meine Tauchlehrerin.«
»Sie sind Tauchlehrerin?«, fragte Rudolf pikiert.
»Ja«, sagte Lisa.
»Das ist ein sehr schöner Beruf«, rief Hilde.
»Ich denke, Sie leben in München?«,
Weitere Kostenlose Bücher