Puppentod
ein so kräftiger Platzregen auf sie herab, dass sie trotz der wenigen Meter bis zum Auto klatschnass wurden. Die Haare klebten am Gesicht, die Klamotten am Körper, und sie sahen aus wie begossene Pudel. Das Abendessen in der Villa am See hatte sich damit erledigt.
»Dann werden wir eben von Luft und Liebe leben«, tröstete Lisa ihn.
Das war zwar romantisch, doch davon würde er nicht satt werden. Deshalb hoffte er inständig, dass seine Mutter daheim irgendetwas Leckeres im Kühlschrank hatte.
10
Es war zwei Uhr nachts. Lisa lauschtein die Stille. Im Haus war alles ruhig. Michael schlief und auch seine Eltern, die erst spät von der Ausstellungseröffnung zurückgekehrt waren. Der Zeitpunkt war günstig.
Sie schlug die Decke zurück und stand leise auf. Im Dunkeln zog sie sich die Kleidung an, die sie vorher bereitgelegt hatte. Schwarze Hose, schwarze Jacke und Sneakers.
Ohne Licht zu machen, schlich sie zur Tür. Sie hatte stundenlang wach gelegen, ihre Augen hatten genügend Zeit gehabt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Sie verließ das Zimmer und lief lautlos die breite Treppe nach unten. Dort überprüfte sie, ob das Wohnzimmer verschlossen war, denn der Hund schlief darin, und die Gefahr, dass er sie bemerkte, war groß.
Dann ging sie zum Garderobenschrank, öffnete ihn und ertastete die darin hängenden Jacken. Michaels Jacke erkannte sie am Stoff. Sie griff in die Taschen, doch das, wonach sie suchte, fand sie nicht.
Fieberhaft überlegte sie. Wo könnte die Karte sein? Er trug sie doch immer in der Jackentasche.
Akribisch untersuchte sie alles noch einmal. Die Magnetkarte steckte in der Innentasche. Es ärgerte sie, dass sie nicht gleich daran gedacht hatte.
Sie nahm sie an sich, zog leise die Eingangstür auf und legte einen kleinen Holzstab dazwischen, den sie im Garderobenschrank versteckt hatte. Die Tür musste während ihres kurzen Ausfluges offen bleiben, sonst gab es keine Möglichkeit mehr, unbemerkt in das Haus zurückzugelangen. Denn nachts musste man einen Code in
einen unscheinbaren Kasten neben der Haustür eingeben, und den hatte Michael ihr noch nicht verraten.
Sie lief über die beleuchtete Auffahrt zum Tor. Einige Meter davor, im Schutz der Dunkelheit, blieb sie stehen und drückte auf der Fernbedienung die Zahlenfolge ein: 9-2-5-5-6.
Die Flügel öffneten sich geräuschlos. Doch nun war Vorsicht geboten. Jede kleinste Bewegung wurde von den Kameras registriert, nur in ihrem toten Winkel war Lisa geschützt. Deshalb legte sie sich auf den Boden, robbte an das Tor heran und durch den Eingang hindurch, fest an die Mauerseite gepresst.
An der Hauptstraße entlang rannte sie zu einem Waldparkplatz, auf dem zu dieser nachtschlafenden Zeit nur ein einziges Auto stand. Ein unauffälliger Mittelklassewagen von einer Autovermietung, in dessen Kofferraum schon alles bereitlag. Sie hatte alles perfekt vorbereitet.
Lisa aktivierte den Laptop und schob die Karte in das hochsensible Lesegerät. Blitzschnell kopierte es die Daten. Der Kartencode war längst nicht so ausgeklügelt, wie sie geglaubt hatte.
Sie hetzte zurück, gab noch während des Laufens die Zahlenkombination ein, robbte wieder durch das Tor hindurch und lief zum Haus. Jetzt kam der gefährlichste Teil ihrer nächtlichen Aktion. War jemand wach geworden und hatte bemerkt, dass die Haustür offen stand?
Sie schlich sich an. Die Villa lag weiterhin im Dunkeln, es war still, und auch der Holzstab klemmte noch zwischen Tür und Schwelle.
Sie nahm ihn weg und schlüpfte ins Haus. Dort steckte sie die Magnetkarte in Michaels Jackentasche zurück, lief die Treppe hinauf, zog vor dem Zimmer Hose, Jacke und Schuhe aus und machte behutsam die Tür auf. Es war alles in Ordnung. Sie ging auf Zehenspitzen ins Bad, ließ die Sachen in den Wäscheschacht fallen und huschte lautlos zurück ins Bett.
11
Zwei Tage vor Lisas Abflug in die Dominikanische Republik saß Michael in seinem Büro und brütete über einem Vorschlag der Marketingabteilung, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und eine gut gelaunte Lisa auf ihn zustürmte - gefolgt von einer lautstark protestierenden Frau Meierhöfer.
»Sie können hier nicht einfach so eindringen!«, rief Frau Meierhöfer entsetzt. »Es tut mir leid, Michael, aber …«
»Ist schon gut«, beruhigte er sie und stellte ihr Lisa vor.
»Das konnte ich natürlich nicht wissen«, sagte Frau Meierhöfer versöhnlich. »Ich war nur so erstaunt, dass jemand Fremdes … Na ja, es hat sich ja
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