Puppentod
sich und beeilte sich fortzukommen.
Als Michael das Standesamt betrat, war er schlagartig vor ein großes Problem gestellt, denn heute saßen zwei Frauen hier, eine rechts vom Schreibtisch und eine links. Und er erinnerte sich nicht mehr, mit welcher der beiden er beim letzten Mal gesprochen hatte. Sie ähnelten sich so sehr, als wären sie Schwestern. Beide waren ungefähr Mitte fünfzig, von kräftiger Statur, mit leicht geröteten Wangen, und beide hatten eine Kurzhaarfrisur in der Farbe von leuchtendem Kupfer. Ein wenig hilflos sah Michael von der einen zur anderen, bis die rechts sitzende zu ihm sagte:
»Guten Tag, Herr Westphal. Sie wollen mir bestimmt das Formular zurückbringen. Konnten Sie die Angelegenheit inzwischen klären?«
»Wir sind noch dabei«, erwiderte er erleichtert. »Aus diesem Grund bin ich heute auch noch einmal hier. Sie erwähnten beim letzten Mal, dass die Mutter des vermissten Mädchens verstorben sei …« Die Standesbeamtin
nickte. Daraufhin fuhr er fort: »Wir würden trotzdem gern mit jemandem von der Familie sprechen. Wissen Sie vielleicht etwas über den Vater des Mädchens? Oder darüber, ob es noch Verwandte gibt?«
Die Frau legte nachdenklich ihre Stirn in Falten. Dann schob sie die Zimmerpflanze beiseite, die in der Mitte des Schreibtisches stand, und sagte zu ihrer Kollegin: »Übrigens, Gisela, das ist der Herr, von dem ich dir erzählt habe. Du weißt schon, der Fall Lisa Marie Elbert.«
»Ach der«, meinte Gisela und musterte Michael interessiert, was ihm reichlich unangenehm war. Danach wandte sie sich wieder ihrer Kollegin zu und fragte: »Ist die arme Frau Elbert nicht vor Kurzem an Krebs verstorben?«
Die andere verdrehte die Augen. »Das hat er doch eben gesagt. Aber erinnerst du dich an den Vater der kleinen Lisa Marie? Von einem Vater hat man doch nie etwas gehört, oder?«
Entschieden schüttelte Gisela den Kopf. »Nein, es hat keinen Vater gegeben. Außer zum Zeitpunkt der Zeugung natürlich.« Die beiden kicherten wie zwei Teenager, dann fügte Gisela hinzu: »Frau Elbert und die kleine Lisa lebten im Haus der Großmutter.«
»Natürlich«, rief die andere Standesbeamtin. »Es gab ja diese Oma.«
»Wissen Sie, ob sie noch lebt?«, fragte Michael aufgeregt. »Kennen Sie die Adresse? Oder ihren Namen?«
Fast synchron schüttelten die beiden ihre kupferroten Köpfe, bis Gisela plötzlich sagte: »Als die junge Frau Elbert so krank wurde, ist die alte Dame in ein Altersheim
gegangen, das habe ich jedenfalls gehört. Rufen Sie doch einfach mal überall an.«
»Das werde ich tun«, entgegnete Michael und war schon fast zur Tür hinaus, als die zwei ihm im Chor nachriefen: »Viel Glück!«
Auf dem Firmengelände war das Chaos ausgebrochen. Ein Lkw mit einem Motorschaden blockierte die Zufahrt zur Halle eins. Deshalb konnte ein anderer den Hof nicht verlassen, und ein dritter, der Ware anliefern wollte, musste rückwärts im Schritttempo wieder herausfahren.
Den Golf vor Halle eins abzustellen war also vollkommen unmöglich. Wieder vom Hof zu fahren und draußen zu parken ging aber, wegen des zurücksetzenden Lkws, auch nicht. Und der Parkplatz vor dem Bürogebäude war belegt. Michael war ratlos. Er stand inmitten dieses Durcheinanders und kam nicht vor und nicht zurück. Dann endlich entdeckte er Herrn Wiesner, der hektisch versuchte, dieses Chaos zu organisieren.
»Wo soll ich den Golf abstellen?«, rief Michael ihm durch das Fenster mit heruntergelassener Scheibe zu.
»Hinter der zwei«, rief Wiesner zurück und gab durch Handzeichen zu verstehen, dass er Halle eins umfahren und hinter der Halle zwei parken solle.
Gute Idee, dachte er. Darauf hätte er auch selbst kommen können. Doch den kleinen Parkplatz hinter Halle zwei hatte er vollkommen vergessen. Seit es den neuen Mitarbeiterparkplatz gab, stellte kaum noch jemand sein
Auto dort ab. Um die riesigen Hallen herumzulaufen war den Mitarbeitern zu aufwendig.
So standen auch nur fünf Autos auf dem Parkplatz, zwei schmutzige Kleinwagen, zwei silberfarbene Japaner und eine gelbe Ente. Als er die sah, wurde er stutzig. Fuhr Martin Schuster nicht so ein Auto? Er parkte den Golf, stieg aus und schlich um die Ente herum. Durch das Fenster auf der Fahrerseite warf er einen Blick in das Innere. Es gab nicht viel zu sehen. Nur eine CD, die auf dem Beifahrersitz lag. Songs und Arien von Luciano Pavarotti. Das erinnerte ihn an: Nabucco - die italienische Gesamtausgabe. Und an das, was Monika Lechleitner
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