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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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Universitätsbuchhandlung und der Filialen der Großbanken, die schon immer da standen, sah ich die kaum gewellte Ebene der Pampa von Buenos Aires mit Kühen, die die Köpfe zum Himmel hoben und klagten, als führen mit dem Zug auch sie davon. Emilia sprach von den brasilianischen Stränden, den venezolanischen Bergen, den billigen Bauchläden rund um den Zócalo von Mexiko-Stadt, und die Ebene rührte sich nicht von diesem falschen Ort weg. Nun nahm ich hin, dass Simón in der North Fourth Avenue in der Tür von Emilias Schlafzimmer stand. Ich nahm alles hin, was sie mir erzählen wollte. Wenn ich ihr nicht glaubte, wozu hörte ich ihr dann überhaupt zu?
    Die erste Information zu Simón, die mir glaubhaft vorkam, gab mir eine Schwester meines Vaters, fuhr sie fort.
    Sie sah mich nicht mehr an. Ich kam mir vor wie eine ihrer Landkarten. Auf den Karten kann man sein, was man will: Ebene, tropischer Regenwald, dem Erdboden gleichgemachte Stadt, imaginäre Insel.
    Diese Tante sagte, sie sei Simón im Teatro Ipanema in Rio de Janeiro begegnet, wo er als Gehilfe des Bühnenbildners arbeite. Sie habe ihn begrüßen wollen, aber er sei ihr entwischt. Diese Nachricht veranlasste mich zu reisen. Ich war sechs Monate in Rio, wo ich von einem zum anderen Theater und dann von einem kartographischen Institut zum nächsten ging. Niemand hatte etwas von ihm gehört, das Ganze war ein makabrer Scherz.
    Ich fragte sie, ob sie es ihrer Tante ins Gesicht hinein gesagt habe.
    Ich schickte ihr einen Brief, den sie nie beantwortet hat. Meine Schwester Chela glaubt, es sei mein Vater gewesen, der sie zum Lügen gezwungen habe, damit ich von Buenos Aires wegginge. Es war ein Moment der Verwirrung, und ich glaube, mein sonst immer so selbstsicherer Vater befürchtete, ich würde zu einer lästigen Zeugin. Die Militärs hinterließen in ihrem Kielwasser Tausende Tote, Konzentrationslager, anonyme Gräber, die allmählich entdeckt wurden, und mein Vater hatte jedes einzelne dieser Verbrechen gebilligt. Ja, sie erschienen ihm nicht einmal als Verbrechen. Als die heute so genannte
Diktatur
fiel, war mein Vater ein reicher, ein steinreicher Mann. Es kamen ihm Darlehen zugute, die er nie zurückzahlte, millionenschwere Kommissionen für Staatskredite, Unterstützungen für öffentliche Bauten, die niemandem dienten. Das Geld prasselte nur so auf ihn herunter. Er kaufte Ländereien in den fruchtbarsten Gegenden der feuchten Pampa, Luxuswohnungen in Paris, New York, Barcelona.
    Du könntest in einen dieser Paläste ziehen, sagte ich mit einer Ironie, die mir sogleich leid tat.
    Ich habe Buenos Aires verlassen mit dem, was ich auf dem Leib trug, und mit den Ersparnissen meiner Arbeit. Auf meinen Konten fand ich Geld, das nicht mir gehörte, und ich rührte es nur an, um Simón weiter zu suchen. Mein Vater war es ihm schuldig. Jetzt weiß er nicht einmal, wo ich bin und was ich mache. Niemand als Chela weiß es, aber sollte sie es ihm erzählen, verlöre sie für immer ihre einzige Schwester.
    Als du »die heute so genannte Diktatur« gesagt hast, dachte ich einen Augenblick, auch du seist eine Mitschuldige. Verzeih mir. Was wir erlitten haben,
war
eine Diktatur, wie du weißt, die perverseste, die es in Argentinien je gegeben hat, wo es ja so viele gab. Und wenn du sie doch am eigenen Leib erlitten hast, warum verschließt du dann die Augen vor der offensichtlichen Tatsache, dass Simón ermordet worden ist? Das haben mehrere Zeugen bestätigt, und es wurde in einem Urteil festgehalten, das niemand in Abrede stellt.
    Man hat ihn aber nicht ermordet. Das habe ich weder gedacht, als ich von Rio wieder wegging, noch denke ich es jetzt. Simón lebt. Dreißig Jahre sind vergangen, und er ist noch am Leben. Ich weiß es. Ich spüre es in mir drin. Die Zeugen haben gesehen, was sie sehen wollten. Wenn sie ihm das Hirn weggeblasen haben, wie man so sagt, wie konnten sie ihn dann erkennen? Die Einzige, die das gekonnt hätte, war ich. Aber ich habe ihn nicht gesehen. Simón lebt. Ich weiß es. Wenn er zurückkommt, wird er sagen, warum er gegangen ist, und alles wird klar sein. Soll ich weitererzählen?
    Ja, nur zu.
    Nach dem Falklandkrieg stürzte die Diktatur ein. Chela lebte mit ihrem Mann bereits in Texas, und ich wollte meine Mutter nicht in Buenos Aires allein lassen. Die Luft war voll ungestillten Hasses. Mein Vater war einer der exponiertesten Mittäter gewesen, und auch wenn er als einer der Ersten die Demokratie pries, fürchtete er zweifellos, ich

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