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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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Einrichtung hatte sie gezwungen, nach der langen Reise von Recife mit dem Dampfer eine Woche länger in Punta del Este auszuharren. Sie waren erschöpft, aber guter Dinge. Es war Sonntag, und das Licht von Buenos Aires strahlte eine melancholische Stimmung aus. Bonavenas Leiche kam zurück, damit sein Name auf dem Friedhof der Nationalheiligen eingeschrieben werden konnte, wo bereits Gardel, Perón und Evita funkelten. Um die Plaza Roma herum hatten die Autos des Trauerzuges geparkt, unter Trauerflor und Blumen vergraben. Als sie am Lunapark vorbeifuhren, überholte sie in rasendem Tempo ein Mercedes-Benz mit abgedunkelten Scheiben, ohne die Ampeln zu beachten. Emilia erkannte das Auto ihres Vaters und hieß den Taxifahrer irgendwo in einer Lücke zwischen den Menschen anhalten. Sie wollte ihn überraschen, und was sie sich am allerwenigsten ausmalte, war, dass die Überraschte sie wäre, denn Dr.Dupuy betrat das Stadion, in dem die Beisetzung stattfand, an der Seite einer zumindest von hinten jung und auffällig aussehenden Frau, die er um die Taille fasste. Simón stieg nur unlustig aus. Er mochte die Rückkehr nach Buenos Aires nicht mit einer vorwurfsvollen Vater-Tochter-Szene ruinieren, doch Emilia wusste ganz genau, was sie tat, sollte sie einunddreißig Jahre später sagen: Sie war sicher, das sich ihr Vater von nichts beeindrucken ließ, nicht einmal von der Schande.
    Kaum taten sich die Tore des Stadions einen Spalt weit auf, trafen die Blicke vor den leeren Rängen auf den Katafalk, dort, wo sich vorher der Ring befunden hatte. Er wurde von vier Altarkerzen, die Wachsfunken versprühten, und den rot-grünen Lichtern eines indiskreten Scheinwerfers beleuchtet. Bonavenas Mater dolorosa liebkoste den Kopf des Sohnes, der ihr so sehr glich, als liebkoste sie ihren eigenen Tod. Die Wirklichkeit ereignete sich als Wiederholung in einem zeitlosen Spiegel. Ein Fernsehjournalist kauerte sich neben der Mutter nieder, ergriff ihre Hände und küsste sie. Hatten sie die Szene nicht schon andere Male in
Telenoche
oder
Videoshow
gesehen? Alles war gleich und doch anders, als machten die Tatsachen kehrt und erstünden neu. So bewegten sich die Reihen der Neugierigen in den Straßen, durch die der Trauerzug führen würde, mit der Ungeduld von vor fünfundzwanzig Jahren, als sie auf Evitas Sarg warteten, diesmal jedoch ohne Hoffnung auf ein Wunder: Indem sie sich in eine neue Epoche versetzte, schuf sich die Wirklichkeit, obwohl identisch, in veränderter Form selbst neu.
    Dr.Dupuy blieb nur ein paar Sekunden vor dem Sarg stehen, und als er sich umwandte, sah er sich von Angesicht zu Angesicht seiner Tochter gegenüber. Emilia erkannte die Frau an seiner Seite nicht. Simón dagegen auf der Stelle, denn in den Zeitschriften einer Arztpraxis hatte er gelesen, dass sie einflussreiche Liebhaber hortete und Hobbyverfasserin von Liebesromanen war, die sich zu Tausenden absetzten, obwohl niemand wusste, wer sie kaufte.
    Das ist Nora Balmaceda, stellte Dr.Dupuy sie vor. Ihr hättet ankündigen können, dass heute die Flitterwochen zu Ende gehen.
    Es blieb ihnen keine Zeit zu antworten, denn in diesem Moment begannen die Angestellten des Beerdigungsinstituts, den Zinkdeckel des Sarges zuzuschweißen, und Ringos Mutter erlitt einen Ohnmachtsanfall. Das ist schon der sechste, informierte Señora Balmaceda, die die Buchführung der ersten fünf in den vormittäglichen Nachrichtensendungen verfolgt hatte. Aber das sagte sie erst später, sollte sich Emilia in Highland Park erinnern, denn vorher, sowie sie die trauernde Fettmasse zusammenbrechen sah, eilte ihr Nora Balmaceda zu Hilfe und konnte sie eben noch mit den Armen umschlingen, als auf ein Zeichen von Dr.Dupuy hin die Pressefotografen die Szene mit ihren Kameras einfingen. In den fünften Ausgaben der Abendzeitungen erschien das Bild auf der Frontseite, in derselben Größe wie die Sicht auf den Trauerzug auf der Kreuzung von Avenida de Mayo und Nueve de Julio, mit einer vom Doktor bestellten Bildlegende: »Mutter und Schriftstellerin im Schmerz vereint.«
    In jenen Zeiten war alles möglich. Die Propaganda schuf Trugbilder von Glück in den Wüsten des Unglücks. Woche für Woche veröffentlichten die Zeitschriften Zeugnisse verdutzter Gauchos, die am Nachthimmel fliegende Untertassen entdeckten. Den Schulkindern wurde die Topographie von Mars, Anananke, Titan, Enceladus und Ganymed mit demselben Enthusiasmus nahegebracht, mit dem man ihnen im Zweiten Weltkrieg die Flüsse

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