Purgatorio
Europas und Sibiriens eingepaukt hatte. Es wurde behauptet, die Gesandtschaften anderer Welten kämen in friedlicher Absicht auf die Erde, nähmen einige Menschenexemplare als Muster mit, um ihre Gefühle zu studieren, und brächten sie nach Jahren – zwanzig, hundert, niemand wusste, nach wie vielen – wieder zurück, oder aber behielten sie für immer in ihren dafür bestimmten zoologischen Gärten. Ein Regierungsmitglied hatte plötzlich zwei große fliegende Scheiben vor sich gehabt, die in der Einsamkeit des Valle de la Luna Menschenproben sammelten. Die Besatzung, sagte er, habe aus winzigen Figürchen mit riesigen Köpfen und einer Lichtaura bestanden, die sie vor der Sauerstoffatmosphäre zu schützen schien. Geschäftig hätten sie etwa zwanzig zweifellos in den Städten gesammelte Personen zu den Raumschiffen getrieben. Der Minister sei eingeladen worden, sich der Expedition ebenfalls anzuschließen, doch er habe ihnen erklärt, die Verantwortung seines Amtes lasse das nicht zu. Die Schilderung eines so seriösen Beamten zerstreute auch die letzten Zweifel der Skeptiker. Nachrichten über Raumschiffe häuften sich. Die Monatsschrift
Voluntad
interviewte sechs Piloten, die während des Fluges Raumgeschwadern begegnet waren. Einem von ihnen, der auf der Route zwischen Río Gallegos und Ushuaia sozusagen am Ende der Welt operierte, war es gelungen, zwei kugelförmige Objekte zu fotografieren, deren Landebeine herausragten.
Kurz vor Weihnachten schloss sich Nora Balmaceda der Kampagne an. Die abgebrühtesten Gemüter des Landes waren von ihrer Geschichte ergriffen, die den Erfolg ihrer Liebesromane bei weitem übertraf. Sie hatte ihren Mann, einen blassen Erben von zehntausend Hektar Land in der feuchten Pampa, dazu überredet, Weihnachten 1976 in San Antonio de los Cobres zu feiern, in fast viertausend Meter Höhe, und dann nach Salta hinunterzufahren, um auf den Jahreswechsel zu warten. Am 26 . Dezember brachen sie in einem Jeep Richtung Las Cuevas auf, vierzig Kilometer südöstlich. Mit mäßiger Geschwindigkeit nahm der Jeep die Unebenheiten der steilen Fernstraße 51 . Für die ersten zwei Drittel der Strecke brauchten sie über zwei Stunden. Als sie beim Weiler Encrucijada eintrafen, hielten sie an, um auszutreten. Der milchige Glanz der Sterne wurde im Halbdunkel von neun Uhr abends immer mächtiger. Nichts rührte sich, nicht einmal die Höheninsekten, und die Stille – erzählte Nora in den Zeitungen – war klebrig wie Sirup. Der Ehemann urinierte beim Kühler des Jeeps und sie auf der Seite, im Schutz des Berges. Sie wollten eben wieder einsteigen, als unversehens aus dem Nichts ein Licht erschien und sie mit einem Schwefelhauch übergoss. Mit Mühe und Not gelangte Nora in den Jeep. Von da aus sah sie durch die Scheiben einige bartlose, winzige Wesen in Menschengestalt, die in einem gelben Feuerschwall schwammen. Auf einmal erlosch das Licht, und sie fiel in unerklärliche Mattigkeit. Vielleicht schlief sie ein, aber nicht länger als zwei Minuten. Als sie erwachte, fand sie sich am Steuer des Jeeps in Rosario de Lerma, viele Stunden weit entfernt. Ihr Mann war verschwunden. Die einzige mögliche Erklärung war die Kraft des Lichtes, das ihn möglicherweise mit der Gewalt eines übernatürlichen Magnets angezogen und in den Himmel befördert hatte. Sämtliche Fernsehprogramme brachten das immer gleiche Bild einer untröstlich trauernden Nora, die sich verklärte, wenn sie ihre Visionen einer anderen Welt beschrieb. Was hätte sie dafür gegeben, jetzt an der Stelle ihres Mannes zu sein, sagte sie. Er hat sein Shangri-La gefunden, ist in den siebten Kreis des Paradieses eingetreten, hat die höchste Weisheit Gottes entdeckt.
Von der Zeitschrift
Gente
wurde Nora in Trauerputz abgelichtet. Der Titel des Artikels – hinter dem man Dr.Dupuys Einfluss erriet – war eine Quevedo-Anleihe: »Ewige Liebe auch über den Tod hinaus.« Durch ihre Anwälte verkündete Nora, sie werde die Ländereien ihres Mannes verwalten und nutzen, bis der aus dem All zurückkehre. Nach einem Schnellverfahren, das den Fall als »weitere unheimliche Begegnung der dritten Art« erledigte, wurde ihr von den Gerichten recht gegeben.
In den Kinos machte Steven Spielbergs fast gleichnamiger Film Furore. Spielbergs Außerirdische verständigten sich mit Lautchiffren und bemächtigen sich weder irgendwelcher Dinge noch menschlicher Wesen wie die Invasoren von Encrucijada oder im Valle de la Luna. Aber welches Aussehen
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