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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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bewegt sich, als hätte sein Körper Grenzen, die er nicht überschreiten könnte. Abgesehen davon ist alles angenehm, ohne Überraschungen. Sie hat ihn gefragt: Bist du es, Simón? Bist du es wirklich? Und während sie ihrem Mann im Treppenhaus vorausgeht, nimmt sie ihn bei der Hand. Es ist eine schwache Hand, leichter, als sie sie in Erinnerung hatte, und auch weicher. Sie hört ihn sagen: Keinen einzigen Tag habe ich aufgehört, dich zu lieben, Emilia. Sie antwortet: Auch ich nicht, mein Schatz. Keinen einzigen Tag. In diesem Moment beschließt sie, ihn zum Bleiben einzuladen. Wie besessen wünscht sie sich, er möge in der Liebesewigkeit verharren, die sie ihm bereithält, er möchte sich auf der Stelle ausziehen und ihren Durst stillen, den sie vor allen anderen verborgen gehalten hat, damit er ihn eher spüre als sonst jemand. Die Zeit soll, wenn er in sie eindringt, auf ihrer Achse festgeschraubt sein, das Tageslicht denselben abnehmenden Mond sehen, der jetzt aufgeht, die Leidenden zu leiden aufhören und der Tod der Toten ein Ende nehmen. Das ist es, was sie will, aber will er es auch? Immer wieder sagt sie sich, sie sollte es sich nicht so sehr wünschen, mit dem egoistischen Wunsch derer, die nichts haben und nichts geben können. Sie hat ihn gesucht, bis ihr der Atem und das Sein ausgingen, aber wer weiß, ob er sie mit demselben Fieber gesucht hat. Dreißig Jahre sind vergangen, und sie haben sich viele Geschichten zu erzählen. Sie will mit der beginnen, die sie am meisten beunruhigt.
    Setz dich, Simón. Tust du mir den Gefallen und setzt dich einen Augenblick, mein Schatz? Ich bin nicht mehr die, die ich war, als du mich verlassen hast, und es ist wichtig, dass du es weißt.
    Ich habe dich nicht verlassen, sagt er. Ich bin hier.
    Er spricht, als hätte das Alter, das seinen Körper verschont hat, in seinen Stimmbändern Zuflucht gesucht, die nicht mehr die Kraft haben, mit der er im Trudy Tuesday auf seine europäischen Kollegen eingeredet hat. Das überrascht sie nicht. Die Zeit ist wie das Wasser: Zieht sie sich irgendwo zurück, so fließt sie immer woanders weiter. Genau darüber möchte sie mit ihm sprechen. Bis vor einem Augenblick noch hätte sie lieber geschwiegen und ihn einfach umarmt. Sich neben ihn hingelegt und ihn umarmt. Doch die verlorenen Jahre erfüllen sie mit Skrupeln – sie könnten den feinen Faden, der sie zu verbinden beginnt, gleich wieder zerreißen, wenn sie nicht sicher wären, dieselben zu sein. Sie will ihn nicht verletzen, will sich nicht verletzen, und genau aus diesem Grund verliert sie die Kontrolle über ihre Worte.
    Du bist hier, weil du Mitleid bekommen hast, dass ich dich so lange gesucht habe. Ich habe sämtliche Städte durchforstet, in denen du gesehen worden bist. Ich habe Monate in Rio de Janeiro, Jahre in Caracas und Mexiko verbracht. In dieses elende Kaff bin ich gekommen, weil ich am Ende war.
    Ich war in keiner dieser Städte. Du hast mich gesucht, wo ich nicht war.
    Du wirst mir erzählen, wohin ich also hätte gehen sollen. Was ich dir sagen will, ist, dass ich unterdessen alt geworden bin. Ich weiß nicht, wie ich dir zeigen soll, was ich selbst nicht sehe. Ich bin die, die ich war, als wir uns ineinander verliebten, ich verspüre dasselbe Fieber, ich bin so romantisch wie damals und liebe noch immer dieselben Blumen, obwohl mir niemand mehr welche schenkt, mir gefällt die Musik, die mir damals gefiel, und wenn ich ins Kino gehe, habe ich das Gefühl, wir säßen nebeneinander, du hättest deinen Arm um mich gelegt und wärst genauso ergriffen wie ich.
    Aber wir sind nicht mehr dieselben Menschen.
    Darauf wollte ich kommen. Ich bin die, die ich war, mein Körper nicht. Das Leben hat mich jünger gemacht, aber mit meinem Körper ist dasselbe geschehen wie bei allen Frauen.
    Sie fragt ihn, ob er einen Tee möchte. Sie setzt Wasser auf und bringt dann zwei Tassen auf einem Tablett. Zitrone, Zucker? Sie mag ihn ohne etwas. Er auch, sie weiß es doch. Der Himmel ist dick verhangen, die Wolken regengeschwollen. Gleich wird die Dunkelheit hereinbrechen, so, wie alles hereinbricht, was zur natürlichen Ordnung gehört. Emilia wird es nicht dunkel werden sehen, da sie vor einigen Tagen die Fenster mit Klebefolie abgedeckt hat, weil sie es satt hatte, von den Studenten des Nachbarhauses ausspioniert zu werden. Es bringt sie durcheinander, vor den unbarmherzigen Blicken Unbekannter die Intimität eines Körpers zu entblößen, der zerfällt und erlischt.
    Wenn

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