Purgatorio
Drehbuch zu einem falschen Dokumentarfilm, der Kriegsaktionen gegen Banden von Subversiven zeigte, die mit sowjetischen Raketen und Granatwerfern die Nordgrenze angriffen. Die Waffen des Vaterlandes würden sie abwehren und die meisten von ihnen auf dem Schlachtfeld fallen. Schon in
Karawane zur Hölle
und
Krieg der Gauchos
hatte die nationale Filmindustrie Schlachten erfunden, an die sich die Menschen noch heute erinnerten. Es wäre eine Kleinigkeit, diese Epen wiederaufleben zu lassen und so die viertausend Toten zu rechtfertigen. Er ging mit dem Plan zum Admiral, der sich widersetzte. Besser, wir vergessen die Guerilleros, Doktor. Wir brauchen sie nicht mehr. Den Argentiniern müssen wir Feinde mit mehr Feuerkraft zeigen, ehrgeizige Tyrannen, die uns unser Territorium Stück für Stück nehmen wollen. Stroessner?, fragte Dupuy aufs Geratewohl. Wie kommen Sie darauf? Der Paraguayer ist ein Freund, erwiderte der Admiral. Denken Sie an jemand Verschlageneres, an einen brutalen Kerl wie Pinochet. Die Argentinier mögen ihn nicht, und für uns sind die Chilenen kleine Fische.
Letzten Endes hat Welles gar nicht so unrecht gehabt, dachte er. Die Argentinier werden glauben, was man ihnen auftischt, die Zeitungen und Rundfunkanstalten sagen, was man ihnen aufträgt. Wir können mit der Geschichte bei null beginnen, ein neues Land erschaffen, erleuchtet von Kreuz und Schwert. Sogar ein Analphabet wie Pol Pot in Kambodscha ist diesem Ideal, wenn auch entgegengesetzt, nicht mehr fern, dem eines roten Bauernstaats. Was hindert uns denn, in unserem Kreuzzug weiterzugehen (dieses Wort liebte er,
Kreuzzug
), dasselbe zu tun, aber beschützt vom wahren Gott?
Welles hatte tiefere Spuren bei ihm hinterlassen, als er dachte. Seine Kolumnen in
La República
waren nicht mehr die steifen Räsonnements, die Militärführer und Geschäftsleute zwischen den Zeilen entziffern konnten. Er zitierte weniger Descartes, Leibniz und den heiligen Augustin, dafür Eliphas Levi und Madame Blavatsky. Die Voraussagen von Horangel erwähnte er zwar nicht, doch er las sie. Er sprach von Symbolen, Einflüssen der Gestirne, Beziehungen zwischen Zahlen und Buchstaben, und das Seltsamste dabei war, dass selbst die Kommandanten seine Wirtschaftsprognosen ernst nahmen.
Allein im Haus, streifte Emilia durch die Zimmer, in denen allmählich die von der Mutter hinterlassenen Gegenstände erloschen: der Stock, das kurze Cape, in das sie sie eingehüllt hatten, wenn sie aufstand, die Nachttöpfe, der Fernseher, der nur noch graue Bilder verknisterte. Zweimal wöchentlich besuchte sie sie in der geriatrischen Klinik, und wenn sie sie beim Abschied allein mit den anderen Alten im Hof zurückließ, wurde sie von Schuldgefühl geplagt. In ihrer Jugend hatte sie eine enorme Neugier auf alles Unbekannte verspürt und Landkarten gezeichnet, als schriebe sie Gedichte: Karten von imaginären Städten, die es nur in Büchern gab, oder von vom Staub der Geschichte ausgelöschten Landschaften. Nichts von dem bedeutete ihr mehr etwas – in der Reife erlebte sie eine Enttäuschung nach der anderen. Ihre Tage zogen sich zwischen nomadischen Karten dahin, die wieder verschwanden, ehe sie Form annahmen.
Wenn die Pflegerinnen mit der Mutter in den Hof herunterkamen, strich ihr Emilia über den Kopf und erzählte ihr Geschichten. Sie berichtete von ihrer ersten Begegnung mit Simón in dem Keller, wo die Gruppe Almendra bereits aus der Mode gekommene Songs spielte, sang ihr mit leiser Stimme die Texte vor, die die Kranke nicht verstand, und wiederholte ihr die Handlung von Filmen, die sie gemeinsam gesehen hatten und von denen Emilia nur noch flüchtige Bilder im Kopf hatte. Sie sprach zu ihr wie zu einer Puppe, wie zu der Tochter, die sie nicht gehabt hatte. Und dabei streichelte sie ihre Hände, und die Mutter erforschte mit ihrem ewigen Mona-Lisa-Lächeln die Luft. Manchmal schien sie zu erwachen und wiederholte: »Ach ja, Simón, dein Simón«, aber das waren bloße Klänge, wie die ersten Worte eines Kindes. Sie magerte zusehends ab, wenn denn eine Greisin, die nur noch ihr eigener Schatten war, überhaupt abmagern konnte.
Einer der Ärzte riet Emilia, Ethel ab und zu ins Haus der Familie zu bringen. In ihrem alten Bett zu schlafen und die bekannten Orte zu durchstreifen, sagte er, im Schutz der Menschen, die sie lieben, kann Wunder wirken bei Leuten, die an Geisteskrankheiten leiden. Wir haben zwar keine Hoffnung, dass sie wieder wird, was sie einmal war, sagte der Arzt.
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