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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Leben schon gesehen?«, fragte Fatma jetzt.
    » Sechzehn«, antwortete Mirijam. In der Regel machte Fatma nicht viele Worte, dieser Beginn ließ allerdings auf eine längere Rede schließen. » Ich bin sechzehn Jahre alt. Warum fragst du?«
    Fatma hob die Hand. » Shuwya, Geduld. Sechzehn, das ist jung, und mit Allahs Hilfe hast du ein langes Leben vor dir. Seit wann lebst du mit deinem Vater nun schon in den Mauern von Mogador?«
    » Aber das weißt du doch, etwas mehr als zwei Jahre!«
    » Ganz recht, vor zwei Jahren seid ihr hier angekommen, du und dein gelehrter Vater, der Hakim. In dieser Zeit habt ihr euer Haus gebaut, habt diese Werkstatt mit den Webstühlen eingerichtet und die Färberei begonnen. Seit einiger Zeit gibt uns dein Vater Arbeit, damit wir uns und unsere Kinder auch dann ernähren können, wenn der Regen ausbleibt und das Vieh hungert, oder wenn das Meer uns keine Fische schenkt. Darüber hinaus hilft er uns, wenn wir krank sind, und er macht dabei keinen Unterschied zwischen einem Ziegenhirten und einem Landbesitzer.«
    Ernst nickte Fatma zu ihren Worten, dann blickte sie hinaus ins Sonnenlicht und überlegte. Nach einer Pause fuhr sie fort: » Er ist ein guter Mensch, dein Vater, ein Mann von hohem Ansehen, und Allah möge seine schützende Hand über ihn halten. Er tut uns viel Gutes. Ich möchte dir eine Frage stellen: Siehst du eigentlich, was ihr in dieser kurzen Zeit verändert habt? Ich sage dir, für mich ist das viel, sehr viel.«
    Wahrscheinlich hatte Fatma recht, überlegte Mirijam, Abu Alî und sie hatten wohl tatsächlich das Leben der Familien verändert, denen sie Arbeit gaben. Außer Landwirtschaft, Viehhaltung und der Fischerei gab es rund um diese windumtoste Stadt nicht viel, mit dem einfache Leute ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Am Karawanenhandel jedenfalls hatten die wenigsten Anteil, den hatten Händler und reiche Sheïks fest in ihren Händen. Aber worauf wollte Fatma hinaus? Was hatte diese Rede mit den Teppichmustern zu tun?
    » Du kannst es nicht wissen, dazu bist du zu jung und lebst noch nicht lange genug unter uns, aber ich sage dir«, erklärte die Berberin, » Weben ist wie das Leben. Das Leben ist, von der Geburt bis zum letzten Atemzug, wie ein einziges, großes, buntes Webstück, bei dem der Allmächtige Farben und Muster bestimmt.«
    Sie wandte sich Mirijam zu. » Bedenke, Lâlla Azîza, es handelt sich nicht um Muster, die allein für die Augen bestimmt sind, oh nein. Vielmehr sind es Zeichen, uralte, magische Symbole. Deshalb ist es auch besser, man spricht nicht zu viel von ihnen.«
    Fatma räusperte sich. » Du kennst doch die Raute, die wir das Auge des Rebhuhns nennen? Wie du weißt, bringt sie Glück und gute Ernte, steht aber ebenso für Anmut und Pflichterfüllung einer jungen Ehefrau. Nimmst du nun stattdessen ein anderes Bild, zum Beispiel eine Blume, so wird niemand deine Botschaft verstehen. Oder nimm den Schicksalsweg, der im Zickzack an Tieren und Zelten vorüberführt – auch ihn kannst du nicht geschmeidig und farbenfroh weben. So ist das Leben nicht! Nun, du siehst, es gibt Dinge, die man ändern kann, andere hingegen soll man respektieren«, mahnte sie jetzt.
    Natürlich wusste Mirijam inzwischen längst, dass jedem Teppichmuster eine tiefere Bedeutung und Kraft zugeschrieben wurde. Aber durfte man denn nicht einmal etwas daran überarbeiten, wenigstens Kleinigkeiten, die die Bedeutung erhielten? Mirijam spürte, wie ihr Verdruss zunahm.
    Als habe Fatma ihre Gedanken gelesen, schloss sie: » Vergiss nicht: Weben ist wie das Leben.«
    » Danke, Fatma, shukran, ich werde über deine Worte nachdenken.«
    Mirijam erhob sich.
    Eigentlich verstand sie sich gut mit ihren Weberinnen, und sie mochte alle Frauen in der Teppichmanufaktur, besonders Fatma und Meryam, manchmal jedoch empfand sie ihre Phantasielosigkeit als unerträglich. Heute war anscheinend so ein Tag!
    Bodenständig und pragmatisch, wie sie waren, stand für die Berberfrauen stets der Nutzen im Vordergrund. Ein Lebensbaum hatte für Fruchtbarkeit zu sorgen, das war sein Zweck und nicht etwa Schmuck oder Zier. Außerdem genügte es ihnen, dass man die Muster schon immer in der bekannten Weise gewebt hatte, warum also etwas Neues ausprobieren? Offensichtlich blieb ihr also auch weiterhin nichts übrig, als die bisherigen Muster zu verwenden.
    Mirijam stieg die Treppe hinauf ins Turmzimmer und trat an die rundumlaufenden Fenster. Der Blick in südwestliche Richtung zeigte den

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