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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Gehen. Cornelisz schloss die Augen.
    Nie zuvor hatte er jemanden bei der Arbeit singen hören. Bisher hatte es immer Geschrei gegeben, Geschimpfe oder laute Befehle, auch mal saftige Flüche, aber Singen? Gesang gab es in der Kirche, und dann waren es Psalmen. Plötzlich sehnte er sich so sehr nach Antwerpen und seinem Zuhause, dass es schmerzte. Die Kirche mitten in der Stadt, die ihm seit Kindesbeinen vertraut war, ihr hoher Turm, der erst vor kurzem fertiggestellt worden war … Während der gesamten Bauzeit war die Baustelle Landmarke seiner Kindheit gewesen. Auch alles andere rund um die Kathedrale war ihm vertraut, die Gassen, die Leute, ja selbst die Gerüche.
    Und hier? Ihm war übel von der elenden Schaukelei. Er stemmte sich gegen den Bauch des Kamels und öffnete die Augen. Linker Hand erstreckte sich eine leicht hügelige Ebene, ein endloses Goldbraun, nur vereinzelt durchbrochen von Gestrüpp. Vor und hinter ihm, und soweit er das durch den Staub der Karawane erkennen konnte, auch zur Rechten, zeigte sich die Wüste gleichmäßig flach, sie schien vollständig bedeckt zu sein mit zermahlenem Kies, kleinen Steinen und sehr viel Sand. Es gab weder Hügel noch Bäume. Die Hitze flimmerte über der vollkommen leblos wirkenden Landschaft. Wie sollte man diesen Inbegriff von Trostlosigkeit malen? Cornelisz schluckte an einem Kloß im Hals.
    War er noch bei Sinnen, wie konnte er ausgerechnet jetzt ans Malen denken? Vater war tot, sein Leichnam ruhte in einem armseligen Grab an einer unbekannten Küste, und er dachte an seine Farben? Warum trauerte er nicht, fragte er sich verunsichert, hatte er etwa ein kaltes Herz?
    Kaum, dachte er, das nicht. Er konnte es nur einfach nicht glauben, dass er am Leben war, während Vater, dieser mutige, selbstsichere, energische und starke Mann … Die Gedanken entglitten ihm. Er musste sich anstrengen, um wenigstens halbwegs seine Sinne beisammenzuhalten. Doch wie er es auch drehte, Vaters Tod kam ihm vollkommen falsch und unglaubhaft vor. Und wenn sich Miguel geirrt hatte, wenn der Tote vielleicht doch nicht …? Willem van Lange, ein Kraftmensch, der voller Pläne und Ideen steckte – so jemand konnte doch nicht einfach sterben? Seine Freunde und Geschäftspartner, die gesamte Kaufmannschaft Antwerpens und darüber hinaus, niemand würde ihm glauben, und angesichts dieser Nachricht höchstens den Kopf schütteln.
    Dem Fell des Kamels, an dessen Bauch er durch den seltsamen Gang des Tieres immer wieder gedrückt wurde, entstieg ein unangenehmer Gestank. Selbst wenn er den Kopf wendete und durch den Mund atmete, entkam er ihm nicht. Krampfhaft umklammerte er die Haltegurte. Was für eine Hitze, dachte er, und dieses gleißende Licht! Was sollte jetzt werden? Was hatte Vater gesagt? Er erinnerte sich nicht mehr genau, aber das eine wusste er: Vater verließ sich auf ihn. Er erwartete von ihm, dass er, der Erbe und Nachfolger … Ah, diese Helligkeit, sein Kopf! Es war nicht auszuhalten.
    Bevor Miguel eingreifen konnte, sackte Cornelisz ohnmächtig in sich zusammen, glitt unter den Seilen des Tragesitzes hindurch und rutschte zwischen den Kamelbeinen zu Boden.
    Vier Männer trugen die improvisierte Trage mit Cornelisz. Unterm Gehen achtete Miguel darauf, mit seinem Körper für ein wenig Schatten am Kopf des Ohnmächtigen zu sorgen. Außerdem träufelte er ihm von Zeit zu Zeit Wasser auf die Lippen und kühlte seine Stirn, im Übrigen aber, so hatte Sheïk Amir gesagt, konnte er erst am Abend, bei ihrem Halt am nächsten Brunnen, Hilfe erwarten.
    Als sie den Brunnen endlich erreichten, glaubte Miguel, seinen Augen nicht zu trauen. Einige Schritte abseits, am Fuß einer Düne, trafen sie auf schneeweiße Zelte, im Inneren ausgekleidet mit himmelblauer Seide. Auf weichen Teppichen saßen Menschen, die sich mit Teetrinken, Brettspielen und Geschichtenerzählen die Zeit vertrieben. Laternen flammten in der Dämmerung auf, und Feuer, in denen wohlriechende Kräuter verbrannt wurden.
    Miguel rieb sich die Augen. Träumte er, oder war dies gar eine fata morgana? Sein Erstaunen wurde noch größer, als er erkannte, die Leute, die hier müßig lagerten und sich am Anblick der Wüste ergötzten, waren samt und sonders junge Frauen! Lediglich auf dem Dünenkamm entdeckte er einige Männer, offenbar Wächter, außerdem waren ein paar Burschen dabei, die sich um die Kamele kümmerten. Und was für Kamele! Sogar einem Mann des Meeres wie Miguel fiel das helle Fell und die hochbeinigen,

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