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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Hafen, die vorgelagerten Felsen und Inseln mit dem weiten und immer bewegten Meer. Gegen Abend war dies wegen der atemberaubenden Sonnenuntergänge der schönste Platz. Früh am Morgen hingegen konnte sie in Richtung Nordosten beobachten, wie sich pastellige Federwölkchen in der Morgenröte auflösten, die Sonne golden über dem hügeligen Land emporstieg und in der noch klaren Morgenluft die flachen, würfelförmigen Häuser zum Leuchten brachte. Was für ein Schauspiel!
    Heute allerdings gefiel ihr weder die eine noch die andere Aussicht. Zwar machte alles einen friedlichen und idyllischen Eindruck, doch das konnte sie nicht aufheitern. Sie spürte, dass etwas Bedrohliches auf sie zukam, als zögen schwarze Gewitterwolken auf. Seit Tagen ging das schon so, der Druck wurde immer schlimmer, so dass sie sich selbst kaum mehr kannte. Sie wollte weinen, fand aber keinen Grund dafür. Sie wollte rennen, blieb jedoch sitzen, wollte in ihrem Gärtlein arbeiten und hatte dann doch keine Lust dazu. Wenn sie die Sternbilder lernen wollte, zogen Wolken auf, wenn sie Kamillenblüten ernten wollte, um daraus Salbe herzustellen, hatten die Ziegen alles abgefressen, und wenn sie buttern wollte, war die Milch sauer. Was bedeutete das?
    In ihren ersten Monaten hier in Mogador, nachdem ihre Stimme zu ihr zurückgefunden hatte, hatte Mirijam gelernt, sich selbst zu beobachten. Sie wollte gewappnet sein. Sobald sie das geringste Anzeichen bemerkt hätte, dass ihre Stimme erneut verschwinden könnte, hätte sie sofort wieder mit den Übungen begonnen. Zum Glück kam es nicht dazu, aber es dauerte, bis sie wieder mit Selbstverständlichkeit reden, singen und laut lachen konnte. Lange noch hatte sie jeden Tag Angst davor gehabt, ihre Stimme könnte ein zweites Mal verschwinden.
    Neuerdings träumte sie häufig wirre Dinge, ohne sich jedoch beim Aufwachen an etwas Konkretes erinnern zu können. Manchmal war ihr sogar, als habe sie vom bagno geträumt. Bei dem Gedanken daran begann ihr Herz zu rasen, dieser Schrecken würde sie wohl nie ganz verlassen. Dabei bemühte sie sich sehr, das Erlebte zu vergessen. Nicht vergessen hieß erinnern. Sich erinnern aber bedeutete, mit offenen Augen einen Weg durch den zähen Morast des Grauens suchen zu müssen, durch einen bodenlosen Sumpf, der sie zu verschlingen drohte. Einen Traum konnte sie nicht verhindern, aber niemals, das hatte sie sich geschworen, niemals würde sie willentlich darüber nachdenken, was im Kerker geschehen war. Vielleicht ging es dann vorbei, als sei es nie geschehen …
    Mirijam beugte sich aus dem Fenster und blickte über das Gassengewirr am Fuß des Turms. Die Häuser der Stadt, erbaut aus Lehmziegeln und behauenen Steinen, standen Schulter an Schulter, getrennt durch schmale Gassen, die gerade breit genug waren, dass ein mit Säcken beladener Esel hindurchpasste. An Markttagen, wenn die Bauern und Viehzüchter der Umgebung nach Mogador strömten, gab es oft kein Durchkommen!
    In den Häusern lebten die Familien der Schreiner und Schuhmacher, der Obsthändler und Wachszieher, der Gerber, Salzhändler, Bäcker, Fischer, Schlachter und Lastträger. Es gab Schulen und Synagogen, und in der Nähe der Moscheen, deren Minarette über die flachen Dächer ragten, befanden sich die Läden der Schreiber, der Schneider und der Tuch- und der Goldhändler, denen die Verkaufsstände der Obst-, Gemüse- und Getreidehändler folgten. Diese wohnten zumeist außerhalb, entweder in der Nähe der angrenzenden Oase oder am Rande ihrer Felder. Schlachter und Fischhändler hatten mit ihren Geschäften ebenso ein eigenes Quartier in der Stadt wie die Schmiede und Gürtler oder die Gerber.
    In den größten und prachtvollsten Häusern, hinter deren portalähnlichen Türen sich kleine Gartenanlagen mit Springbrunnen verbargen, lebten reiche Sklavenhändler und Karawanenführer. Zwei-, manchmal sogar dreimal im Jahr, wenn die Karawanen mit ihren schwer beladenen Kamelen aus der Wüste in die Stadt zurückkehrten, waren alle Bewohner auf den Beinen, ebenso wenn die fremden Schiffe im Hafen einliefen und sich Händler aus aller Welt die schwarzen Sklaven und sagenhaften Schätze aus den Tiefen Afrikas sichern wollten.
    Auch sie hatte bereits Elefantenstoßzähne bestaunt, so groß und schwer, dass zwei Männer sie nur mit Mühe tragen konnten, sowie Affen, die mit ihren runzeligen Gesichtern alten Männern ähnelten, und seltsame andere Tiere. Wenn jedoch die hochgewachsenen, schwarzen Männer und

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