Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
konnte. Er schloss die Augen.
Später kamen die Träume. Schreckliche, wilde Träume, in denen er den toten Vater sah, das tobende Meer und die Klippen, zwischen denen das zerschmetterte Schiff aufgerieben wurde …
Es war die Stunde nach Sonnenuntergang, die magische Stunde, als er das nächste Mal die Augen öffnete und sein Blick erneut auf den der schönen Frau traf.
» Bismillah, willkommen in meinem Haus in Santa Cruz de Aguér«, sagte sie lächelnd. » Man nennt mich Anahid. Mit Gottes Hilfe werden meine Frauen und ich dich gesund pflegen.«
4. TEIL
MOGADOR 1523 – 1525
34
» Aber seht doch selbst, dieser Lebensbaum, er hat nichts Gefälliges, an seinen Spitzen könnte man sich glatt verletzen. Außerdem kann kein Mensch erkennen, was dieses Muster eigentlich bedeuten soll!«
» Erkennen? Das weiß man.« Meryem und Fatma tauschten einen kurzen Blick und zuckten die Schultern.
Wieder einmal drohte Mirijam am versteckten Widerstand der beiden Berberfrauen zu scheitern, dabei hätte sie zu gerne gehabt, dass ihre Teppiche sanfter wirkten und mehr Farbe, Feinheit und Harmonie aufwiesen. Die Augen sollten sich an Schönheit erfreuen, sie sollten auf dem Teppich spazieren gehen können wie in einem Garten oder einem Bild. Diese Teppiche aber waren weit davon entfernt! Ihre Muster bestanden fast ausschließlich aus Streifen und Rechtecken, und sie musste schon froh sein über die wenigen gefärbten Wollfädchen, die die Weberinnen ihr zuliebe eingearbeitet hatten, obwohl die paar Farbkleckse in all dem Schwarz und Hellbraun beinahe untergingen.
Das Schlimme war, dass ihr keines der Muster, die sie doch vor kurzem erst selbst entworfen hatte, wirklich gut gefiel. Dabei gingen ihr die Entwürfe sonst immer leicht von der Hand, aber diesmal? Wie steif die Fische wirkten, und erst die Wellen. Die hatten eher die Form von scharfkantigen Felsen als von gurgelnd sanftem Wasser. Kein Wunder, dass die Frauen die Entwürfe nicht mochten. Warum bloß bekam sie es nicht besser hin? War sie zu unkonzentriert? Schon seit Tagen verspürte sie eine nervöse Unruhe, für die es zwar keinen Anlass gab, die sie aber sehr verunsicherte.
» Glaub mir, es ist gut, so wie es ist, Lâlla Azîza.« Tröstend legte sich eine warme Hand auf Mirijams Schulter. Es war Fatma, die ältere der beiden Berberfrauen, die ihr zulächelte. Nun zog sie einen niedrigen Schemel in die Nähe der Tür und deutete einladend auf einen zweiten Hocker. » Komm, setz dich zu mir.«
Mirijam tat wie geheißen und sah Fatma erwartungsvoll an. Sie mochte die Berberin sehr, die sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Mogador kennengelernt hatte. Während sich der Hakim bei den portugiesischen Behörden und dem caïd der Stadt vorstellte, seine Möglichkeiten auslotete und sich ganz allgemein einen ersten Eindruck vom Leben in diesem Fischer- und Garnisonsort verschaffte, hatte sie sich in der Oase die Zeit vertrieben und dabei Fatma kennengelernt. Die kleine, gebeugte Frau mit dem faltigen Gesicht, in dem ihre bläulichen Tätowierungen beinahe verschwanden, ließ ihre Ziegen in einem stacheligen Arganbaum herumklettern, damit sie sich an dessen mandelgroßen, grünen Früchten sattfressen konnten. Freundlich und überaus geduldig hatte sie Mirijams neugierige Fragen beantwortet. Aus den harten Kernen der Früchte, die sie später aus dem Ziegenkot lesen würde, stelle sie ein feines Öl her, hatte sie ihr erklärt, gut in der Küche und für die Körperpflege.
Inzwischen kannte Mirijam längst selbst jeden Handgriff bei der Herstellung dieses Öls. Doch seit damals erwies sich die einfache Berberin immer wieder als eine wahre Fundgrube, was die berberischen Traditionen anbelangte, die man in und um Mogador hochhielt. Ihr Leben lang hatte sie auf dem Feld gearbeitet, Mann und Kind bekocht und das Vieh versorgt. Und natürlich hatte sie die Decken und Teppiche in ihrem Haus angefertigt, wie es unter Berberfrauen üblich war, und hatte Mirijam mit all ihrer Sachkenntnis in die Teppichweberei eingeführt. Sie war alt, ihre Augen aber blickten immer noch wach, klar und sehr freundlich.
Fatma streckte ihre Finger und rieb die abgearbeiteten Hände aneinander. Seitdem sie keine schwere Feldarbeit mehr verrichtete, achtete sie wie die anderen Weberinnen darauf, ihre Handflächen mit Henna zu färben. Henna pflegte die Haut und machte sie weich und geschmeidig, aber besonders brachte es baraka, Segen, über die Arbeit.
» Wie viele Ernten hast du in deinem
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