Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
behielt seinen unbeteiligten Gesichtsausdruck. Insgeheim jedoch frohlockte er über diesen Glücksfall.
» Na ja, ich sage lieber gleich, wie es ist«, seufzte der Hafenmeister nach einer kleinen Weile. » Der Mensch hat nämlich kein Geld, er wurde bis aufs Hemd ausgeraubt. Außerdem kann er noch nicht einmal einen Tampen halten, geschweige denn einen Kompass ablesen, und zum Segelsetzen ist er schon gar nicht zu gebrauchen. Er kann also für seine Überfahrt nicht arbeiten. Außerdem wird er auf dem Wasser sofort sterbenskrank.«
Rouxinol beugte sich vertraulich über den Tisch und nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, bevor er weitersprach. » Sein Handelsherr scheint ein harter Kerl zu sein. Ausgerechnet diesen Mann zur Inspektion irgendwelcher Niederlassungen bis in die äußersten Winkel der Levante zu entsenden, und zwar überwiegend per Schiff, das zeugt für mich von grober Rücksichtslosigkeit. Der letzte Kapitän ließ ihn jedenfalls lieber hier bei mir zurück. Er wollte auf der Rückreise keinen Toten an Bord haben.«
Miguels Augenbrauen hoben sich fragend. » Und warum sollte ausgerechnet ich dieses Ungemach auf mich nehmen wollen?«
» Joost Medern, so heißt der Mann, ist zwar ein durch und durch ungeschickter Mensch, der nichts kann als rechnen und schreiben, aber er ist ein Kontorist, wie er im Buche steht, und kennt sich demzufolge in sämtlichen Handelsfragen aus. Wenn Ihr ihn nach Antwerpen mitnehmt, so tut Ihr nicht nur ein gottgefälliges Werk, sondern habt selbst einen Nutzen davon.«
» Verstehe. Wisst Ihr den Namen seines Handelshauses?«
» Tut mir leid. Ihr kennt das sicher selbst, diese fremdländischen Namen wollen einem einfach nicht im Gedächtnis haften bleiben.«
70
Als sie zwei Tage später die Segel setzten, hatte sich Miguel zu einer Änderung der Route entschlossen. Eigentlich drängte es ihn zur Eile, denn er wollte unbedingt zur Geburt seines Sohnes zurück in Mogador sein. Dennoch würde die Santa Anna nun, anstatt in einem weiten Bogen durch die stürmische Biscaya gen Norden zu segeln, wie es eigentlich üblich war, stets in Küstennähe bleiben, des Nachts ankern oder sogar einen geschützten Hafen aufsuchen. Unter Deck, leidend in seiner Koje, befand sich nämlich der Antwerpener Schreiber Joost Medern, der zum Handelshaus van de Meulen gehörte.
Zufrieden verschränkte Miguel die Hände hinter dem Rücken und schritt das Deck ab. Einfach wunderbar, dachte er entzückt, dieser Mann war ihm von der Heiligen Mutter Gottes höchstpersönlich gesandt worden. Bis jetzt hatte er weder eine konkrete Idee geschweige denn einen Plan gehabt, wie er an den Advocaten herankommen könnte. Lediglich das Ziel stand fest: Licht in das Dunkel um die Piratenüberfälle und den Tod von Mirijams Schwester zu bekommen sowie Mirijams Erbe zurückgewinnen, koste es, was es wolle. Und genau zu diesem Zweck hatte ihm nun ein gnädiges Schicksal diesen Mann zu Hilfe gesandt. Zufrieden rieb er die Hände.
Für ihn gab es keinen Zweifel, Mirijams so genannter Onkel war ein Betrüger und Mörder obendrein. Doch würden die Beschreibungen in den Briefen von Mirijams Mutter, die längst unter der Erde lag und nicht mehr selbst Zeugnis ablegen konnte, ausreichen, diesen gerissenen Menschen zu überführen? Er hatte die Briefe zwar mit auf die Reise genommen, denn man wusste schließlich nie, aber durfte man sich wirklich etwas davon versprechen? Mit diesem Medern an Bord sah die Angelegenheit jedoch um einiges besser aus. Er konnte den Mann aushorchen, sich über die Antwerpener Verhältnisse aufklären lassen und in Ruhe einen Plan ausarbeiten. So gesehen war die langsame Schleichfahrt nicht nur erträglich, sie war sogar ausgesprochen nützlich.
Joost Medern, ein freundlicher, kleiner Mann mit einem gutmütigen Gesicht, das von einer dicken Warze im Nasenwinkel verunziert wurde, litt tatsächlich ungemein, sobald das Schiff Fahrt aufnahm. Noch nie hatte Miguel jemanden derart anfällig für die Seekrankheit erlebt. Abends jedoch, wenn sie in einer ruhigen Bucht ankerten, kam er an Deck, um Luft zu schöpfen und ein wenig mit dem Kapitän zu plaudern. Aber selbst dabei hielt er sich stets in der Mitte des Schiffes auf, in der beruhigenden Nähe des Mastes, als habe er Sorge, sogar bei sanfter Dünung über Bord zu fallen.
» Ich bin Euch von Herzen dankbar, Kapitän, dass Ihr Euch meiner angenommen habt«, erklärte er zum wiederholten Male, während er mit beiden Händen das Holz des
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