Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Mittelganges umklammerte. » Mein Herr, der Advocat, hält mich ja für weichlich und feige, dabei habe ich auf dieser Reise schon so mancher Gefahr getrotzt, oh ja! Gefahren, von denen Ihr Euch wahrscheinlich keine Vorstellung macht!« Er warf sich in die Brust. » Weichlich und feige, pah! Wenigstens bin ich jederzeit ehrlich geblieben, was man wahrlich nicht von allen behaupten kann.« Er schwankte gehörig, obgleich das Meer unter ihnen im sanften Abendlicht wie eine glatte, polierte Tischplatte glänzte.
Mit hereinbrechender Dämmerung hatte die Santa Anna in einer Bucht vor der französischen Küste Anker geworfen, und die meisten Besatzungsmitglieder befanden sich an Land, wo ein helles Feuer brannte. Eigentlich, dachte Miguel, eigentlich kroch sein schönes Schiff dahin wie ein geprügelter Hund mit eingezogenem Schwanz. Seine Männer langweilten sich zu Tode und schüttelten von Tag zu Tag mehr die Köpfe über ihn, von dieser Seite kannten sie ihren Kapitän schließlich nicht. Sei’s drum, überlegte er mit einem schiefen Lächeln, Hauptsache, er bekam, was er wollte.
» Sechs Jahre geht das nun bereits so, Kapitän«, fuhr der Schreiber fort, » sechs lange Jahre, in denen ich arbeite und gehorche, alle Anweisungen getreulich befolge und fleißig meinem Herrn diene. Wohlgemerkt, ohne ein Wort der Anerkennung und für einen eher kargen Lohn, und dabei stand ich sogar immer mal wieder für ihn mit einem Fuß im Gefängnis. Nachweisen konnten sie ihm bisher zwar nie etwas. Diesmal jedoch … Ach, wenn ich nicht für Frau und Kind sorgen müsste, ich wüsste, was ich täte!« Medern verstummte. Er seufzte. Eine Hand umklammerte ein dickes Tau, die andere zupfte an einem Loch in seinem Wams herum.
Am Zustand seiner abgerissenen Kleidung konnte man leicht ablesen, dass dieser Mann tatsächlich einiges durchgemacht hatte, dachte Miguel, aber irgendwie hatte er auch Courage. Wie Rouxinol berichtet hatte, war der arme Hund unterwegs ausgeraubt worden und besaß nur noch das, was er am Leibe trug. In seiner eigenen Kleiderkiste würde sich bestimmt das eine und andere für ihn finden, überlegte Miguel, so heruntergekommen wie jetzt wollte er jedenfalls nicht mit ihm in Antwerpen einlaufen. Viel wichtiger als seine Erscheinung aber war, dass dem Kontoristen offenbar die Zunge locker saß. Mit ein wenig Glück konnte er ihn aushorchen und kam an ein paar saftige Informationen.
» Gefängnis? Na, na, das sind mir ja schöne Geschichten, Senhor Medern! Was genau würdet Ihr denn tun, wenn Ihr könntet, wie Ihr wolltet?«, erkundigte er sich.
Joost Medern hatte sich anscheinend jedoch besonnen und schwieg. Er starrte auf seine Füße, während die Hand unentwegt über den zerfetzten Rock strich.
Miguel versuchte, seine Ungeduld zu zügeln. Schließlich, und dieser Glücksfall kam ihm tatsächlich wie ein Zeichen göttlichen Weitblicks vor, arbeitete Joost Medern für den Advocaten. Wenn der Dreck am Stecken hatte, und das war so sicher wie das Amen in der Kirche, dann musste Medern Kenntnis davon haben. Wie aber brachte er den Mann zum Reden? Loyalität zu seinem Herrn verschloss ihm jedenfalls wohl nicht den Mund, eher schon Angst.
» Früher einmal«, meinte Miguel wie beiläufig, » früher einmal hatte das Haus van de Meulen einen ausgezeichneten Ruf, meine ich mich zu erinnern. Stand der Name nicht im gesamten Mittelmeerraum für Seriosität und Gediegenheit? Und nun sprecht Ihr von Gefängnis?« Miguel schüttelte den Kopf.
» Allerdings«, setzte er gleich darauf hinzu, als sei ihm das gerade erst eingefallen, » hörte ich irgendwann tatsächlich, wie ein englischer Kapitän einmal sogar vom Landesverrat Eures Herrn sprach. Was hat es denn damit auf sich?«
» Nichts, nichts, ein paar Ungereimtheiten hier und ein paar Missverständnisse da, nichts Besonderes. Geschäfte eben«, antwortete der Kontorist ausweichend. Mit einer Hand umklammerte er ein Halteseil, mit der anderen kratzte er sich unter seinem fleckigen, abgetragenen Kragen.
Miguel zog spöttisch die Augenbrauen in die Höhe. » Nun, einer wie ich kommt viel herum, wie Ihr wisst. Ich sollte Euch also ehrlich sagen, mein lieber Medern, dass man sich so einiges über Euer Haus erzählt, versteht Ihr?«
Alarmiert blickte der Antwerpener zu Miguel auf.
Das Eisen muss man schmieden, solange es heiß ist, dachte Miguel und beschloss, ein Gerücht, das er irgendwo aufgeschnappt hatte, als Tatsache hinzustellen. » Zum Beispiel«, sagte er, »
Weitere Kostenlose Bücher