Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
erkennen waren.
Irgendetwas sagte Mirijam, dass Lucia sich irrte. Sollte dies eine andalusische Stadt sein, wäre es natürlich wunderbar, aber auf Mirijam wirkte der Anblick der würfelförmigen Häuser befremdlich. Nirgendwo konnte sie Giebel oder Kamine erkennen, wobei sie natürlich nicht wusste, ob spanische Häuser über derlei verfügten. Hier ragten stattdessen schlanke Türme aus dem Meer flacher Häuser empor, und an vielen Stellen unterbrachen hohe Bäume und Flecken von üppig leuchtendem Grün die strahlend weiße Kulisse.
» Al-Djesaïr«, sagte plötzlich jemand. Es war der Piratenjunge, der neben ihnen stand und stolz auf die Stadt wies. » Afrika, Al-Djesaïr , Heimat!« Dazu presste er beide Hände auf sein Herz, dann küsste er seine Fingerspitzen. Offensichtlich liebte er diesen Ort.
Afrika also, nicht Andalusien. Mirijam hatte schon von den Städten Wahran und Tunis gehört, von Tripolis und anderen fremden Orten an der nordafrikanischen Küste, aber noch nie von Al-Djesaïr.
13
Vom Hafen näherten sich kleine offene Boote. Sie waren besetzt mit Männern, die wie Brüder der Piraten aussahen. Sie waren in dicke Wollumhänge gehüllt und trugen warme Mützen, dabei war es angenehm mild, trotz des Windes, der von den schneebedeckten Bergen zu kommen schien. Die Boote kamen längsseits. Unter der Aufsicht der Seeräuber kletterten die ersten Gefangenen über Bord und wurden in den offenen Booten an Land gerudert. Eines dieser Boote trug einen geschwungenen Schriftzug am hohen Bug. So sahen arabische Schriftzeichen aus. Also befanden sie sich tatsächlich in einem arabischen Land. Sie hatte es geahnt. » Das ist nicht Andalusien, Lucia!«, rief sie. » Hörst du? Nicht Spanien.«
Doch Lucia hatte sich bereits von der Reling entfernt und reihte sich ein in die Schlange derer, die als Nächstes aufs Boot sollten.
» Warte, Lucia.« Mirijam drängte sich an den Männern vorbei nach vorn, als sie jemand am Ärmel festhielt.
» Spanien, wie kommst du denn darauf? Du siehst hier unsere schöne Stadt Algier vor dir, Sitz des Paschas, des Statthalters unseres gnädigen Sultans von Konstantinopel, Allah schenke ihm ein langes Leben.« Es war Hakim Mohammed, der maurische Heiler, der sie mit seinen Erklärungen aufhielt. » Wir sind in Afrika«, fuhr er fort. » Deiner Freundin geht es besser?«
» Es sieht so aus«, nickte Mirijam. » Sie hat geschlafen und nicht mehr getobt oder geschrien.« Sie wand sich aus dem Griff des Arztes und schaute sich nach Lucia um. Diese sprang soeben in eines der Boote.
Eilig schob sich Mirijam durch die Reihe der Gefangenen, um ihr zu folgen, als das Boot mit der Schwester an Bord bereits ablegte. Jemand rempelte sie an, so dass sie zu Boden stürzte. Vor ihren Augen trampelten Füße herum, Stiefel, Schuhe, nackte Füße, so viele und so gefährlich nahe, dass sie die Arme schützend über den Kopf legte. Endlich hatte sie sich wieder aufgerappelt. Doch Lucias Boot war inzwischen nur noch ein auf- und abhüpfender Punkt in der weiten Bucht, und als auch Mirijam schließlich in eines der Boote verfrachtet wurde, war von ihm längst nichts mehr zu sehen.
Am Hafen herrschte lebhaftes Treiben. Unzählige schwarze und dunkelhäutige Männer, die meisten in wehenden Gewändern unter warmen Umhängen und mit farbenprächtigen Turbanen, säumten den Kai und bildeten eine Gasse. Eng standen sie, Mann neben Mann, und in einer langen Reihe mussten die Gefangenen an ihnen vorüberziehen. Die Zuschauer lachten, applaudierten und riefen den Piraten Glückwünsche zu.
Mirijam schlüpfte zwischen den Männern hindurch, um weiter nach vorn zu gelangen. Sie musste unbedingt Lucia wiederfinden. Plötzlich traf sie ein Peitschenhieb. Unter dem jähen Schmerz zuckte sie zusammen. Die Gefangenen rundherum duckten sich ebenfalls und schützten ihre Köpfe mit den Händen, denn plötzlich hagelte es von allen Seiten Hiebe. Willkürlich prügelten die Bewacher auf die Häftlinge ein und trieben sie voran, als wollten sie vor dem Publikum ihre Überlegenheit demonstrieren. Der Zug führte aus dem Hafengelände durch ein Tor in der mächtigen Stadtmauer und eine enge Gasse in die Stadt hinein. Wo steckte Lucia? Mirijam hüpfte in die Höhe, um besser sehen zu können, und plötzlich entdeckte sie die leuchtenden hellen Haare ganz in der Nähe.
» Lucia! Warte auf mich.« Hoffentlich hatte Lucia sie gehört. Mirijam jedenfalls kannte jetzt nur ein Ziel: durch die Menge zu Lucia. Sie duckte
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