Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
aufgenommen hatte. Seltsam scharfe Gerüche zogen durch den langen Raum. Ein Nachtwesen aber, oder etwas, das Mirijam für einen Geist hätte halten können, war nirgends zu entdecken.
» Was ist, wer ist da? Ach so, du bist es.« Der Arzt hatte sie entdeckt und stieg von der Leiter vor einer Bücherwand herab.
Mirijam antwortete lediglich mit einem Nicken, während sie sich staunend umsah.
» Na, wie gefällt dir mein Reich?«, fragte der Hakim lächelnd.
Als er die Verblüffung bemerkte, mit der Mirijam das Durcheinander um sie herum besah, lachte er. » Unordentlich hier, nicht wahr?« Seine Arme beschrieben einen weiten Kreis. » Ich will dir etwas gestehen: So sieht es meistens aus, wenn ich in meiner Arbeit versinke. Das Problem ist, es wird immer schlimmer, da niemand aufräumen oder putzen darf. Der Signora gefällt das natürlich nicht, und deshalb schimpft sie oft mit mir.« Er überlegte einen Moment. » Wenn du schon einmal hier bist, könntest du eigentlich die Bücher dort abstauben. Dann stellst du sie ins Regal zurück, entweder dort, wo es Lücken gibt, oder du stapelst sie, wo du Platz findest, mit dem Rücken nach vorn. Die Schriften sind mir sehr kostbar, deshalb musst du pfleglich mit ihnen umgehen, hörst du?«
Mirijam stellte den Krug ab und machte sich sogleich an die Arbeit. Zunächst suchte sie sich ein leidlich sauberes Tuch, wischte damit sorgfältig ein Buch nach dem anderen ab und räumte sie in die Regale. Was für ein wunderbar vertrautes Gefühl, diese schönen Bücher in Händen zu halten. Behutsam strich sie über jeden der Lederbände, bevor sie ihn auf das Bord stellte und geraderückte.
In einem der aufgeschlagen unter einem Tisch liegenden Folianten entdeckte sie Bilder von Tieren. Es gab Zeichnungen von Schlangen und Spinnen, von Vögeln und Bären. Aufmerksam las sie die Erklärungen unter den Abbildungen. Als sie zu dem Bild der nächsten Seite umblätterte, erschrak sie unwillkürlich. Das musste das Bild eines Dschinn sein! Mit dem Finger fuhr sie die Zeile darunter entlang und formte mit den Lippen das Wort: ELEFANT . Sie hörte einen Laut und sah auf. Der Arzt stand neben ihr und starrte sie an.
» Gefällt dir das Buch?«, fragte er und räusperte sich.
Mirijam nickte, dann deutete sie auf das seltsame Tier in dem Buch und zog fragend ihre Augenbrauen hoch.
» Das ist ein Elefant, ein wundervolles Tier. Zwei Prisen pulverisiertes Elfenbein von seinem Stoßzahn wirken gut gegen Aussatz«, erklärte der Arzt, der Mirijam nicht aus den Augen ließ.
Er schlug die nächste Seite im Buch auf. » Und was ist dieses hier für ein Tier?«, fragte er, deutete auf das Bild eines riesigen Vogels und beobachtete genau, was sie tat.
Wieder fuhr Mirijam mit dem Finger die Zeile unter der Zeichnung entlang, und ihre Lippen formten das Wort: PHÖNIX .
Leise sagte Sherif Hakim: » Du kannst lesen.«
Mirijam nickte und stellte das Buch ins Regal zurück.
» Und schreiben etwa auch?«
Wieder nickte Mirijam. Natürlich konnte sie lesen und schreiben, Advocat Cohn hatte sie sogar oft für ihr schönes Schriftbild gelobt.
» Aber wie sieht es mit dem Rechnen aus?«
Nun nickte Mirijam heftig und mit leuchtenden Augen. Das Spielen mit Zahlen war ihr immer ein großes Vergnügen gewesen.
Sherif Hakim betrachtete sie nachdenklich. Dann legte er die Hände auf den Rücken und wanderte grübelnd im Raum hin und her. Schließlich reichte er ihr ein Stück Papier und deutete auf einen kleinen Tisch an der Seite. » Hol dir einen Hocker, Kleines, und setz dich. Ich geb dir Tinte und Feder. Dann schreib auf, wie du heißt, wer du bist und wie dein Leben früher einmal war. Ich habe nur fünf Dinar für dich bezahlt, weil man dich für kränklich, von niedriger Geburt und sogar geistesschwach hielt. Aber du bist offensichtlich aus gutem Hause und keineswegs schwach im Kopf. Also, erzähl mir deine Geschichte.«
Als die Köchin, beunruhigt über ihr langes Ausbleiben, nach einer Weile in den Arbeitsraum schaute, bot sich ihr ein befremdlicher Anblick: Azîza, die stumme Küchensklavin, saß am Tisch und schrieb, während der Herr ihr eine Frage nach der anderen stellte. Das Mädchen lauschte seinen Worten, dachte einen Augenblick nach und schrieb dann offenbar die Antwort nieder. Der Herr las die Sätze und fragte etwas Neues.
War hier Zauberei am Werk?
» Ich wundere mich, dass die Korsaren kein Lösegeld für dich gefordert haben.« Der Sherif ging gedankenvoll auf und ab. »
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