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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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doch nur die richtige Tinktur, die richtige Therapie einfiele! Was hatte er nicht schon alles ausprobiert. Doch trotz seiner Kenntnisse hatte er bisher nicht das Geringste dagegen auszurichten vermocht.
    In der ersten Zeit hatte er es nach der sanften Methode mit speziellen Tees und Heilsäften und in Kräutersud getränkten Tüchern, die sie um den Hals legen musste, versucht. Danach hatte er ihr ein Mittel zum Gurgeln gegeben, alles ohne Ergebnis. Sogar das kostbare Stück Elefantenhaut, das sie eine Zeitlang auf der Brust trug, hatte nichts bewirkt. Wieder und wieder hatte er die Schriften diverser Ärzte studiert, darunter die des berühmten Galen, und in deren Erfahrungsschatz nach einer Lösung gesucht. Doch leider ohne Erfolg, Azîza war und blieb stumm. Was für ein Jammer bei ihren Talenten!
    Nie hätte er gedacht, dass ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, derart logisch denken oder über solche Fähigkeiten und Interessen verfügen konnte. Schon nach kurzer Zeit wusste sie eine Menge über die verschiedenen Heilpflanzen und konnte wirksame Mineralien mitsamt ihren mannigfachen Verarbeitungsformen und Anwendungsmöglichkeiten unterscheiden. Vieles konnte er ihr lediglich auf Bildern in den Folianten zeigen, einiges aber lag auch in Form von Steinbrocken, Proben oder getrockneten Kräutern in den Regalen seiner Arbeitsräume.
    Wie ihr Gesicht aufleuchtete, wenn er mit einem seiner Experimente die Wirksamkeit eines Stoffes vorführte und sie die Zusammenhänge verstanden hatte! Dann war es, als ginge die Sonne auf. Besonders liebte sie es, selbst Hand anzulegen. Unter seiner Anleitung verarbeitete sie mittlerweile bereits die Kräuter aus den Gärten zu Salben, Tees oder anderen Heilmitteln.
    Manchmal aber, wenn sich ihre Augen verdunkelten und ihr Blick in die Ferne ging, spürte er ihre tiefe Einsamkeit. Wie hilflos er sich in derartigen Momenten fühlte! Aus diesem Grund hatte er ihr auch nichts von den Gerüchten über das Handelshaus van de Meulen erzählt. Wie es aussah, handelte dieser Advocat inzwischen nicht mehr mit Stoffen und Tuchen. Welchem Handelsgut er sich stattdessen widmete, hatte er jedoch nicht in Erfahrung bringen können. Und das war seltsam genug, denn in der Regel taten Kaufleute nichts lieber, als sich über andere Kaufleute das Maul zu zerreißen! Man kannte zwar in Al-Djesaïr das Haus van de Meulen durchaus, doch bei genaueren Erkundigungen war er auf undurchdringliches Schweigen gestoßen. Überall ausweichende Antworten, hochgezogene Augenbrauen und vielsagende Gesten, die darauf hindeuten sollten, dass man sich in diesem Fall gehörig die Finger verbrennen konnte, sonst nichts. Nach seiner Erfahrung konnte das eigentlich nur bedeuten, dass der Pascha mit im Spiel war. Selbst er in seiner abgelegenen Wüstenoase wusste um die engen Beziehungen, die der Pascha zu diversen Handelspartnern in Nordeuropa pflegte. Worum es in diesem speziellen Fall also auch immer ging, es war sicher klug, im Verborgenen weiterzuermitteln, seine Gedanken aber für sich zu behalten.
    Durch die offene Tür warf er einen Blick in sein Arbeitszimmer. Azîza schrieb seine Notizen über das Verhalten von Nervenkranken ins Reine, wie immer hochkonzentriert und mit der Zungenspitze zwischen den Lippen. Nervenkrankheiten und ihre Heilungsmöglichkeiten fesselten sie ganz besonders, hatte er bemerkt. Vielleicht wegen ihrer Schwester? Oder weil sie möglicherweise auch ihre eigene Erkrankung betrafen?
    Ihm waren Berichte zu Gesicht gekommen über die angeblich heilende Wirkung von Musik auf Menschen, die Allah mit einer Erkrankung der Seele oder Verwirrung des Geistes wie dem Veitstanz prüfte. Besonders die gnaoua aus dem fernen Sultanat Al-Maghrebija taten hierbei anscheinend viel Gutes. Diese Musiker stammten ursprünglich aus Ländern südlich des großen Sandmeeres, wo man neben Allah und dem christlichen Gott nach wie vor uralte Dämonen und Naturgottheiten verehrte. Einst waren ihre Vorfahren als Sklaven nach Norden verschleppt worden, sie hatten ihre geheimen Riten mitgebracht. Man sagte, ihre afrikanischen Ahnen verschafften ihnen auch jetzt noch einen intuitiven Zugang zu vielen Krankheiten. Gesetzt den Fall, es handelte sich bei Mirijam um keine körperliche, sondern um eine Störung des Inneren, also ihrer unsterblichen Seele, so könnten möglicherweise Musik und Tanz helfen. Man müsste einmal Gelegenheit bekommen, diese Therapie …
    Die Gedanken des Gelehrten wurden jäh unterbrochen.

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