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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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und trat an den Tisch. Von Zeit zu Zeit ergab es sich, dass sie ein Spitzenstück reparieren musste, denn manchmal gingen die Leute allzu sorglos mit dem feinen Zeug um. Und ehe sich eine Weißnäherin oder ungeübte Zofe an den schönen Sachen vergriff und die Löcher mit wer weiß was stopfte, übernahm sie das lieber selbst.
    Sie entzündete die Öllampe über dem Tisch und öffnete vorsichtig das zusammengewickelte Knäuel. Ein strenger, muffiger Geruch stieg ihr in die Nase. Stockig, dachte Anna, der Stoff war also unbrauchbar, aber betraf das auch die Spitze? Noch während sie mit vorsichtigen Fingern die fleckige, ehemals blaue Seide auseinanderschlug und den zerfransten Spitzenkragen, der daran hing, glatt strich, vernahm sie hinter sich einen Aufschrei.
    » Lucia! Das ist Lucias Kleid, ich erkenne es genau! Aber wie ist das möglich? Oh, so sag mir doch einer, wieso ist dieses Kleid hier? Und warum ist es schmutzig und zerrissen? Wo ist Lucia? Was ist geschehen, um Himmels willen?«

24
    KASBAH TADAKILT
    Was Lucia wohl zu diesem kleinen Paradies mitten in der Wüste gesagt hätte? Ob sie die wie verzauberten Oasengärten, die wuchtigen Mauern der Burg und ihre freundlichen Bewohner gemocht hätte? Mirijam badete ihre Hand im Brunnenwasser. Sie schlug kleine Wellen, die über den Beckenrand schwappten und auf den blauen zelliges des unteren Beckens landeten, von wo sie in die schmalen Wasserrinnen liefen, die den Garten nach allen Seiten durchzogen.
    Tief sog sie den süßen Duft der Pflanzen ein. Selbst dieser zarte Wohlgeruch kam ihr – ebenso wie der Flug der bunten Falter oder das flüchtige Wellenmuster des Wassers – greifbarer vor als die Nachricht von Lucias Tod. Natürlich hatte sie tief im Inneren längst verstanden, was der Traum mit Lucias geschlossenen Augen und den Münzen auf ihren Lidern, den sie damals im Kerker geträumt hatte, bedeutete. So gesehen stellte Abu Alîs Mitteilung eher eine Bestätigung dar. Trotzdem blieb Lucias Tod seltsam abstrakt für sie, vor ihrem inneren Auge saß die Schwester immer noch an Bord der Palomina und nähte an einem Kleid. Zugleich aber sah sie sie auch am Strand jener unbekannten Insel, schreiend und tobend, mit verwirrtem Geist und gelähmtem Gemüt. Und sie sah ihren letzten Blick, im Zug der Gefangenen, teilnahmslos und leer, wie der einer Puppe.
    Bei dieser Erinnerung wurde es ihr um die Brust ganz eng. War sie also ganz allein auf der Welt, die Letzte ihrer Familie? Natürlich gab es da noch Advocat Cohn, doch der war ihr immer fremd geblieben. Hin und wieder hatte sie versucht, ihn nach Spanien und ihrer Mutter zu befragen, nach dem Leben, das sie dort geführt hatte, aber stets hatte er sie in unwirschem Ton abgefertigt. Mirijam begann zu frieren, obwohl die Hitze des Tages noch in den Mauern um den Patio steckte.
    Als die Sonne wie eine glühende Messingscheibe am fahlen Himmel hing, erschien ein Reiter in der Burg. Er trug das rote Gewand und den F ë z der osmanischen Soldaten des Paschas von Al-Djesaïr, der dort als Stellvertreter des osmanischen Sultans in Konstantinopel residierte. Mirijam, vertieft in die Gartenarbeit, entdeckte den Fremden und erschrak. Wie dieser Mann den Wächtern im Kerker ähnelte! Rasch duckte sie sich unter tiefen Zweigen, zog den Schleier über Haar und Gesicht und rührte sich nicht mehr. Während der Soldat seinen schmerzenden Rücken rieb, kauerte Mirijam mit klopfendem Herzen nur wenige Schritte entfernt hinter Blättern und tiefhängendem Geäst.
    Sîdi Alî begrüßte den Boten des Paschas mit aller gebotenen Höflichkeit. Dann nahm er das Schreiben, das ihm der Bote überreichte, in Empfang, erbrach das Siegel und las.
    » Beim Leben des Propheten, gelobt sei sein Name, dies ist wahrlich ein überaus seltsames Ansinnen!«, rief er überrascht. » Warum nur, so frage ich Euch, tapferer Hassan al-Dey, warum nur könnte Euer Herr etwas über den Verbleib einer meiner nichtsnutzigen Sklavinnen wissen wollen? Er bietet mir hier sogar eine hohe Summe für sie an. Ist womöglich beim Kauf dieser Sklavin etwas nicht rechtens gewesen?«
    Der mit Hassan angesprochene Soldat verhakte die Daumen in seiner roten Bauchbinde und antwortete betont würdevoll: » Ich frage den Herrn niemals nach dem Warum, Sherif, höchstens einmal nach dem Wie. Mir wurde beigebracht, zu gehorchen und meine Pflicht zu tun.«
    » Selbstverständlich, natürlich, das verstehe ich sehr gut«, beeilte sich der Arzt zu sagen.
    » Aber zufällig«,

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