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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Plötzlich stand Azîza neben ihm im Garten, ein Schriftstück in der Hand, und deutete auf ein unleserliches Wort.
    Immer wieder geschah es, dass sie unvermutet mit einem Zettel auftauchte, um etwas zu fragen. Und was sie nicht alles wissen wollte! Oft genug musste er zunächst selbst erst überlegen, bevor er ihr antworten konnte, und manchmal sogar gründlich nachdenken oder in einem Buch nachschlagen. Dieses Mal allerdings hatte er die Erklärung parat. » Es muss gnaoua heißen«, buchstabierte er. » Das sind Musiker, die angeblich mit ihrer speziellen Musik und ihrem Tanz heilen können.« Das Mädchen nickte und lief zurück an seine Arbeit.
    Sein Weg war für lange Jahre einsam gewesen. Hierzulande kannte niemand seine Wurzeln, durch die man ihn einer Familie oder einem Stamm hätte zuordnen können. Das aber brauchten die Menschen, um jemanden als einen der Ihren anzusehen. Sich selbst empfanden sie ebenfalls nur dann als ganze Menschen, wenn sie sich als Mitglied einer Sippe, eines Stamms bezeichnen konnten, in dem sie sich sicher eingebunden fühlten.
    Mittlerweile aber fand er sich längst mit seinem Leben als Außenseiter zurecht. Statt Dorfleben und Nachbarschaft pflegte er regen schriftlichen Gedankenaustausch mit Gelehrten und Forschern aus Al-Qairawan, Al-Qahira oder Dimaschq, den ehrwürdigen Städten der Gelehrsamkeit, was seiner Natur ohnehin entsprach. Zugleich hatte er sich im Laufe der Jahre auch hierzulande Ansehen errungen, zunächst durch die Protektion des Paschas, später jedoch vor allem durch seine Heilerfolge. Aber nun hatte er plötzlich so etwas wie eine Tochter, dachte Alî el-Mansour, und das bedeutete, dass er zum ersten Mal im Leben sein Wissen unmittelbar an einen Menschen weitergab. Er schrieb es nicht länger ausschließlich auf Papier und archivierte es in dicken Büchern für irgendwelche Unbekannten, wie in früheren Jahren, sondern er unterrichtete und schulte jemanden, der vielleicht, mit Gottes Hilfe, eines Tages sein Werk fortsetzen würde.
    Allah sei Dank für diesen aufgeweckten jungen Menschen, der ihm nichts als Freude bereitete!

23
    ANTWERPEN 1521
    » Ihr wisst ja selbst, wie es ist, zunächst spürt man nichts und denkt sich nichts, vor allem, wenn einem das Herz schwer ist. Und natürlich habe auch ich mir nichts dabei gedacht, damals!«
    Es war Nachmittag, aber noch hell genug in der freundlichen Stube, um die Qualität des Garns beurteilen zu können. Drei Frauen saßen beisammen, zwei von ihnen verspannen den Rest ihres jährlichen Flachsvorrates, während Anna Brandhius, die derzeitige Vorsteherin des Beginenhofs, am Fenster vor ihrem Klöppelkissen saß.
    Eine jede möge durch ihrer eigenen Hände Arbeit zum Erhalt der Gemeinschaft beitragen, lautete eine der wenigen Grundregeln, auf denen ihr Leben im Konvent aufgebaut war. Einige der Frauen spannen, manchmal Leinen, manchmal Wolle, wie es gerade kam. Sie hingegen hatte sich ganz dem Klöppeln verschrieben und einige ihrer Mitschwestern angeregt, es ihr gleichzutun. Zum Glück bekamen sie immer wieder lukrative Aufträge für die zarten Spitzen, für die sie inzwischen bekannt waren. Den Verdienst, den sie mit ihren Spitzen erzielten, konnten sie gut gebrauchen. Obwohl sie in diesem Haus im Gegensatz zu anderen Beginenhöfen nicht arm waren. Sie besaßen eigene Ländereien, zu denen Wiesen und Äcker und sogar ein großer Obstgarten gehörten. Hier in der Stadt verfügten sie über einen Kräutergarten, in dem sie hinter schützenden Mauern Gewürzkräuter für die Küche und Heilkräuter für die kleine Krankenstation anbauen konnten. Gern hätte Anna mehr für die Siechen getan, aber als Frau und Begine musste sie vorsichtig sein. Wer kein Medicus war, geriet leicht in üble Nachrede, egal ob er gute Heilerfolge erzielte oder ob seine Kunst nichts half. Sobald die Menschen sich etwas nicht erklären konnten, wurde einem schnell die Zusammenarbeit mit allerlei bösen Mächten unterstellt.
    Anna war eine Meisterin in der Kunst des Klöppelns, ihre feinen Gespinste, die Kragen und Stulpen und kostbare Altartücher schmückten, wurden bis über die Grenzen Antwerpens gerühmt. Rosen im zarten Rankengewirr gehörten zu ihren Lieblingsmotiven, aber auch Vögel, Schmetterlinge und Sterne aller Art gelangen ihr ausgezeichnet. Im letzten Jahr hatte sie sogar damit begonnen, die Mädchen befreundeter Familien in dieser Fertigkeit zu unterweisen. Je beweglicher und flinker die Finger, desto filigraner wurde die

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