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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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ewige Ruhe«, betete Miguel, bevor er den Leichnam untersuchte. Zunächst fand er nur Hautabschürfungen sowie ein paar gebrochene Rippen, jedenfalls nichts Tödliches. Als er den Körper jedoch umdrehen wollte, wurde ihm klar, was geschehen war: Die See hatte dem Mann das Genick gebrochen. Wenigstens ein schneller Tod, dachte Miguel.
    Dann nahm er sich die Taschen des toten Mannes vor. Sie enthielten nichts als Sand. Im Futter des Wamses hingegen spürte er etwas Festes. Vorsichtig zerschnitt er die Stoffbahnen und nahm ein flaches Kuvert mit stark durchweichten Schriftstücken an sich. Nicht leicht zu ergründen, was sie enthielten, dachte er, seine eigenen Lesekünste reichten dafür jedenfalls nicht aus, aber er verstaute sie dennoch in seinem Gürtel. Sodann faltete er die Hände des toten Kaufmannes, und nach einem Blick auf die hungrigen Möwen, die in sicherem Abstand warteten, begann er, den Vater des Jungen sorgfältig mit Steinen zu bedecken.

32
    Das vollgesogene Segel hinderte ihn am Schwimmen. Zerborstene Balken und Masten um ihn herum, Taue, die ihn festhielten, nach unten zogen! Er bekam keine Luft, er musste sich befreien, ankämpfen gegen die Wellen, an die Luft …
    Cornelisz riss die Augen auf. Er spürte, dass er auf festem Boden lag, doch die Arme schlugen weiterhin um sich, und in seinem Inneren brandete immer noch die See. Alles schaukelte und wogte, und er spie widerliches Zeug in den Sand. Dann brach er zusammen. Im eigenen Dreck liegend schloss er die Augen und wimmerte.
    Erst jetzt, als die eigene Stimme an sein Ohr drang, als Sand zwischen den Zähnen knirschte und er mit den Händen Steine zu fassen bekam, begriff er, dass der Tod ihn nicht länger gepackt hielt. Er musste nicht mehr gegen Felsen, Strudel und Wasser ankämpfen. Die Finger ertasteten Steine, so weit er reichen konnte, keine rutschigen Schiffsplanken mehr, kein hölzernes Schanzkleid, das den Sturz ins Wasser doch nicht verhindern konnte, und vor allem keine schäumenden, alles verschlingenden Wogen und Brecher.
    Sein Bein pochte und klopfte, und als er mit der Hand darüber fuhr, bemerkte er eine stramme Bandage aus Hölzern und Stricken. Wo war er, und was war mit ihm geschehen? Er wagte nicht, die Augen zu öffnen, um nicht erneut vom Schwindel überfallen zu werden. Langsam schob er sich an einem Felsen in die Höhe. Erst als er halb aufrecht saß, öffnete er vorsichtig die Augen. Diesmal verhielt sich der Magen ruhig.
    Er lagerte auf dem Strand einer kleinen Bucht. Draußen tobten hohe Brecher über unsichtbare Hindernisse, hier hingegen gab es nichts als sonnenglühende Felsen, Steine und das eine oder andere Stück Treibgut. Aber sonst nichts. Kein Mensch weit und breit. Aber irgendjemand musste das Bein mit Latten und Seilen geschient haben. Wer hatte ihn versorgt? Vermutlich Vater. Wie kam er überhaupt hierher?
    Da kehrte die Erinnerung mit einem Schlag zurück.
    Er war ins Wasser gesprungen. Noch nie im Leben hatte er eine Entscheidung von solcher Tragweite treffen müssen. Doch er hatte sie getroffen, oder? Als klar war, dass sich das Schiff nicht wieder aufrichten würde, war er gesprungen. Mitten hinein in das Gebirge aus brüllendem Wasser, das ihn verschlingen wollte. Cornelisz erschauerte. Oder war er doch gefallen? Irgendwer hatte gerufen: » Spring!« Hatte Vater ihm das befohlen? Er wusste, er war um sein Leben geschwommen, aber wie war er ins Wasser gekommen?
    Fiebrige Wellen, die Erinnerung an Eiseskälte, an Todesangst durchzuckten seinen Körper. Er erinnerte sich, wie die Arme auf die Wellen einschlugen und ihn voranzogen, wie er mit den Beinen trat, um nur ja an der Oberfläche zu bleiben. Und dann die Felsen! Sie schnitten und rissen ihm die Haut blutig. Einige Male, als ihn die Brecher unter Wasser zogen, tief, so tief, dass das Blut in den Ohren sang, wollte er aufgeben. Und doch kämpfte er weiter, trat um sich, rang nach oben, kam an die Luft. Die Arme hoben sich, die Beine stießen, Arme, Beine, Arme, wieder und wieder …
    Er lebte! Das Schiff war womöglich gesunken, er aber hatte die Katastrophe überlebt. Aber wo steckten die anderen, wo der Vater?
    » Vater, wo bist du? Vater!« Rau und dünn wie die eines Kindes klang seine Stimme, und sie versagte sogleich vor Erschöpfung. Im Kopf hämmerte es wie in einer Schmiede. Nie wieder, schwor er sich, nie wieder würde Vater ihn an Bord eines Schiffes bringen.
    » Amigo!«, rief Miguel schon von weitem, als er sah, dass Cornelisz wach war.

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