Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
verließ mit ihm die Bucht in Richtung Osten.
Miguel wanderte über eine steinige Ebene. Er trug keine Schuhe und musste auf den Weg achten, um sich die Füße nicht an Dornen oder scharfen Steinen zu verletzen. Mit der Zeit wurde der Marsch immer mühevoller. Die Sonne brannte, obwohl sie sich allmählich zum Untergehen bereit machte. Jeder Schritt schmerzte, und der Junge auf dem Rücken wurde immer schwerer. Dennoch war er froh. Er war am Leben, war nicht von den Brechern zerschlagen worden, war kein aufgedunsener Leichnam, der an dieser Berberküste dem Jüngsten Tag entgegenrotten musste. Noch dazu war er ein reicher Mann! Außerdem war er trotz der Plackerei zufrieden, Cornelisz nicht seinem Schicksal überlassen zu haben. Das wäre ihm das ganze Leben lang nachgegangen, er kannte sich.
Vom Meer hörte und sah er schon lange nichts mehr. Der Boden hatte sich verändert, hier gab es weniger Steine und mehr Sand, und vereinzelt entdeckte er sogar niedriges Grünzeug und stacheliges Gestrüpp. Das versetzte ihm einen Ruck. Pflanzen bedeuteten Tiere, und Tiere bedeuteten Wasser. Es musste Wasser in der Nähe sein! Suchend blickte er sich um. Da, tatsächlich, Tierfährten am Boden, Ziegen oder Schafe waren hier gegangen! Ein Brunnen? Deus, bei Gott, dieses Wasser würde er finden, und wenn es die letzte Tat seines Lebens war! Er hätte einen See aussaufen können!
Immer mehr Abdrücke tauchten im Sand auf, von allen Seiten strebten sie zusammen. Miguel beschleunigte seinen Schritt, so dass der immer noch bewusstlose Cornelisz wie ein Sack auf seinem Rücken auf- und abhüpfte. Miguels Blick saugte sich an den Tierspuren fest. Diese Fährten durfte er nicht verlieren.
So fand er den Ring aus flachen, abgewetzten Feldsteinen inmitten rissiger, getrockneter Pfützen mit tief eingebrannten Hufspuren. Eine Viehtränke, das war ihre Rettung!
Behutsam ließ er Cornelisz auf den Boden gleiten, darauf bedacht, das verletzte Bein zu schützen. Wie der Junge trotz der Hitze zitterte. Das sah nach Fieber aus, dachte Miguel flüchtig. Dann legte er sich flach auf den Bauch und spähte in das Brunnenloch hinunter. Hallelujah, in dem Brunnen stand Wasser und das sogar reichlich, graças a Deus!
Er ergriff die große Kalebasse, die mitsamt einem Seil aus Pflanzenfasern neben dem Steinrand lag, warf sie hinunter und zog das gefüllte Gefäß hastig wieder herauf. Zunächst nahm er einen kleinen Probeschluck, dann aber gab es kein Halten mehr. Er trank und schlürfte, er schluckte und würgte, und zu guter Letzt goss er sich das Wasser sogar über den Kopf. Niemals hatte er in irgendeiner Schankstube in irgendeinem Hafen der Welt etwas auch nur annähernd so Köstliches getrunken!
Als sein Durst endlich gestillt war, schöpfte er erneut Wasser und versuchte, Cornelisz etwas davon einzuflößen. Dessen krampfartig zusammengebissene Zähne ließen sich jedoch nicht auseinanderbringen. So wusch er ihn und tropfte ihm, so gut es eben ging, Wasser auf die Lippen. Der Junge stöhnte, er fühlte sich heiß an, und seine Augenlider flackerten.
Miguel zog mehr Wasser herauf, benetzte Cornelisz’ Kleider und kühlte ihm Kopf und Brust. Notdürftig reinigte er das Gesicht, die Arme und Hände des Ohnmächtigen vom eingetrockneten Blut, dann säuberte er seine eigenen Wunden. Schließlich füllte er die Wasserflasche, lud sich den Kranken erneut auf den Rücken und schleppte ihn zu ein paar Tamarisken in der Nähe. Hier, in Reichweite des Brunnens konnten sie sich ein paar Stunden erholen.
Cornelisz lag nach wie vor in tiefer Ohnmacht gefangen, aber die Stirn fühlte sich nicht mehr ganz so glühend an. Vielleicht hatte Gott ein Einsehen und ließ den Jungen durchkommen.
Miguel breitete die feuchten Schriftstücke des toten Kaufmanns zum Trocknen aus und beschwerte sie Blatt für Blatt mit Steinen. Dem Anschein nach handelte es sich um amtliche Schreiben. Zum Glück hatte das Seewasser der Tinte nicht viel anhaben können, das Meiste war nach dem Trocknen sicher immer noch lesbar. Jetzt musste er nur noch den Weg nach Santa Cruz finden. Dort gab es Schiffe, die sie in die Heimat zurückbringen würden, zu einem Leben in Wohlstand und Zufriedenheit. Mit diesem wunderbaren Gedanken streckte sich Miguel aus, verschränkte die Hände über dem beruhigend feisten Goldbauch und schloss die Augen.
Cornelisz’ Angstschrei riss ihn aus dem Schlaf. Blitzschnell, noch bevor er wirklich wach war, zog Miguel das Messer. Stockfinstere Nacht! Im
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