Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
bewegte sich in ihr. Wann es wohl geboren würde? Ihr Kind, das sie in Liebe empfangen hatte. Wohl wahr, sie hatte es in Liebe empfangen, er aber hatte es nicht in Liebe gezeugt. Sie starrte auf das dunkle Kanalwasser. Den Wellen entstieg ein widerlicher Gestank, je enger die Kanäle wurden. Sie duckten sich, glitten unter einer Brücke hindurch und bogen in eine schmale Kanalmündung ein.
Emmanuele deutete auf die feucht schimmernden Stufen einer Anlegestelle. » Gleich sind wir am Ziel«, sagte er. Neben dem Tor der Brücke dämmerten zwei venezianische Wachleute, die sie lediglich mit einem flüchtigen Blick bedachten.
» Werden die Brücken bewacht?«, fragte Sarah, als sie ausstiegen.
» Nur diese, sie ist der Zugang zum Ghetto, und die Juden zahlen für die Wache. Das Brückentor wird jede Nacht geschlossen, dann kann niemand raus oder rein. Die Leute im Ghetto behaupten, sie fühlen sich sicherer, wenn ihr Wohnviertel geschützt wird. Ich sehe das anders, für mich werden sie weggesperrt. Egal, jedenfalls sollte man bei Sonnenuntergang das Judenviertel verlassen haben.«
Emmanuele ging voraus und bog in eine enge Gasse ein. Sie überquerten einen campo, der von hohen, schmalen und schmucklosen Häusern eingerahmt wurde. Sie hatten nichts mit den Palästen gemein, an denen sie während der Gondelfahrt vorübergekommen waren. Kinder spielten hier, und Gruppen von Frauen standen im Gespräch beieinander. Sarah spürte die Blicke, die ihnen folgten.
Vor einem unscheinbaren Haus, dessen untere Fenster vergittert waren, blieb Emmanuele stehen. » Am besten, du lässt mich machen«, sagte er und betätigte den Türklopfer.
An einem der Fenstergitter erschien ein alter Mann mit einem Käppchen auf den grauen Locken. » Ah, es ist Messèr Emmanuele, der mich beehrt«, rief er und zwinkerte mit einem Auge. Ein hörbar schwerer Riegel wurde zurückgeschoben, und die Tür öffnete sich. » Tretet ein, meine Herrschaften«, sagte der Alte, verneigte sich leicht und trat einen Schritt beiseite, um den Jungen und Sarah an sich vorbeizulassen. Nach einem prüfenden Blick über den Platz versperrte er sorgfältig hinter ihnen die Tür und schob den Riegel wieder vor. » So, bitte sehr, hier entlang. Setzt Euch, Signorina, bitte setzt Euch. Was führt Euch in mein armseliges Kontor?«
Der Alte nahm auf seinem Stuhl hinter dem Tisch Platz, verschränkte die Hände und ließ seine wachsamen dunklen Augen zwischen dem Anführer der Taschendiebe und Bettelkinder und der fremdartig gekleideten Sarah hin und her gehen. Er hatte das Licht im Rücken, daher konnte Sarah sein Gesicht kaum erkennen.
Emmanuele beugte sich vor und ergriff das Wort. » Diese junge Dame traf gestern von weit her ein, Messèr Jacopo. Binnen weniger Stunden geriet sie unverschuldet in Not und benötigt nun Hilfe, versteht Ihr? Natürlich kann sie Sicherheiten bieten.«
Sarahs Kopf fuhr herum. Sicherheiten? So bezeichnete man Lagerhäuser voller Gewürze oder bis zu den Dachsparren gefüllt mit Ballen schöner Stoffe, ein Schiff oder auch ein Grundstück, aber ihre Perlensammlung? Emmanuele warf ihr einen beruhigenden Blick zu.
Unter seinen buschigen Augenbrauen blickte der alte Jude Sarah an. Da ihr Gesicht in Licht gebadet war, konnte er jede ihrer Regungen erkennen. Unsicher rutschte sie an die vorderste Stuhlkante und schlug die Augen nieder.
» So ist das, Ihr traft also gestern ein, Signorina?«, fragte der Pfandleiher. Er hatte eine schnarrende Stimme.
Sarah räusperte sich. » Ganz recht, gestern. Bei Einbruch der Dunkelheit liefen wir mit Kapitän Pacelli und seiner San Pietro e Paolo in Venedig ein. Er legte an der dogana di mar an«, antwortete sie leise.
Jacopos Augenbrauen fuhren in die Höhe. » Ach, Kapitän Pacelli ist wohlbehalten zurück? Das freut mich zu hören, sehr schön. Ich meine mich zu erinnern, dass er an die Barbareskenküste segeln wollte, um in Tunis und anderen Städten Geschäfte zu machen. Nun, wie auch immer, der Ewige hat seine Hand über ihn gehalten, und er ist heil zurück. Dann kommt Ihr wohl ebenfalls aus Afrika?« Interessiert beugte er sich über den Tisch.
Erwartete er jetzt einen Bericht über die Seereise oder wollte er womöglich gar hören, woher genau sie kam, wer ihre Eltern waren und was sie nach Venedig verschlagen hatte? Darauf konnte er lange warten. Die Gewissensbisse, mit denen sie sich herumschlug, reichten ihr, auf kritische Kommentare konnte sie verzichten. Also nickte sie lediglich
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