Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
stumm.
Plötzlich aber knurrte ihr Magen vernehmlich. Sarah errötete, zog rasch ihren Perlenbeutel auf den Schoß und verschränkte die Hände darüber. Erschöpfung und Hunger – bislang waren dies lediglich Worte für sie gewesen, noch nie hatte sie sich Sorgen um ihr Essen machen müssen oder darum, ob genügend Geld für ihre anderen Bedürfnisse zur Verfügung stand.
Seitdem Emmanuele ihr von dem Pfandleiher erzählt hatte, hatte sie sich allmählich mit dem Gedanken, ihre Perlen zu versetzen oder zu verkaufen, abgefunden. Jetzt aber empfand sie es plötzlich doch wieder als falsch, einem Fremden ihre persönlichen Schätze anzubieten. Lag es daran, dass dieser Mann ein Jude war? Natürlich wusste sie von der jüdischen Abstammung ihrer Mutter, und auch in Mogador lebten viele Juden, dennoch hatte sie bis jetzt nur eine Handvoll von ihnen kennengelernt. Dann aber fielen ihr der alte Ya’qub und Leas Familie ein, die aus Granada vertrieben worden waren, sowie Rebecca, die Frau des Rabbi, mit der sie gestern die Gondel geteilt hatte. Es waren freundliche Leute, die vor Not und menschlichen Abgründen nicht zurückschreckten. Der alte Pfandleiher nickte, obwohl niemand etwas gesagt hatte. Sarah errötete. Es schien, als sei ihm keiner ihrer Gedanken und keine Nuance ihrer Gefühle entgangen.
» Kommen wir zur Sache. Wie viel Geld benötigt Ihr, junge Dame? Und was ist es, das Ihr mir als Sicherheit anbieten könnt?«
» Wie viel …?« Ratlos schaute Sarah Emmanuele an.
» Sie braucht eine Unterkunft, und zwar für mehrere Wochen, und wie Ihr wisst, Meister Jacopo, verlangen Wirtsleute die Miete im Voraus«, antwortete er an ihrer Stelle. » Außerdem braucht sie Geld für Essen und warme Kleidung, es ist ja bereits kalt, und der Winter steht vor der Tür. Tja, und dann …«
» Deine commissione, ich weiß, Emmanuele, ich weiß. Nun gut, dann zeigt einmal her.«
Sarah gab sich einen Ruck. Sie zog die Säckchen, deren Inhalt sie bereits vor Emmanuele ausgebreitet hatte, hervor, öffnete sie und stellte sie nebeneinander vor dem Alten auf den Tisch. Ein zarter Duft entstieg den Behältnissen.
Sarah räusperte sich. » Perlen«, sagte sie mit zitternder Stimme. » Ich besitze die unterschiedlichsten Perlen aus allen Ecken der Welt. Sie haben Bohrungen, damit man sie aufnähen kann, zur Zierde von Kleidern, versteht Ihr? Die Perlenstickerei ist eine alte und vornehme Kunst. Seht selbst, was man damit anfangen kann.« Damit wies sie auf die Stickerei an ihrem Kleid und den Sandalen. » Mit den winzig feinen Perlen bestickt man dünne Seidenstoffe für Kleider und andere Gewänder, aber auch Brusttücher und Schleier, Kissen oder Decken – was immer man will. Man kann mit ihnen kleine Bildnisse herstellen, beinahe so, als wären es Malerfarben. Die größeren kann man für dicke Wollstoffe und Samt nehmen, oder für Leder, zum Beispiel um das Zaumzeug edler Pferde zu verschönern, oder …« Ihre Stimme wurde immer leiser.
Überrascht wiegte der Pfandleiher den Kopf. In seiner offenen Hand glänzten die dunkelgrünen, mandelförmigen neben den perlmutternen Kugeln, auf dem Tisch lagen einige der transparenten Stäbchen in zartem Blau neben den mehrfarbigen ovalen Perlen, deren Goldeinschlüsse im Licht, das durch die Fenster fiel, funkelten. Sie nahmen sich neben den dicken Kontorbüchern und den altersfleckigen Händen des Pfandleihers noch um einiges anmutiger, feiner und kostbarer aus als sonst.
» Erstaunlich«, meinte der Alte. » Ihr scheint eine Expertin zu sein. Und Euer Beutel ist voll mit derartigen Perlen?« Staunend schüttelte er den Kopf. Dann gab er die kleinen Kügelchen vorsichtig wieder in ihre Säckchen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
» Pferde gibt es in Venedig allerdings keine, und ehrbare jüdische Mädchen und Frauen besuchen keine Feste. Ihre guten Kleider tragen sie nur am Shabbat. Die aber werden nicht mit derartig buntem Tand geschmückt, das ist nicht Sitte bei uns.« Nachdrücklich nickte Jacopo, der Jude, zu seinen Worten. Wie er es sagte, so war es, Punktum.
Demnach gab es also kein Geld, dachte Sarah und schwankte leicht auf ihrem Stuhl. Mutlosigkeit erfüllte sie. Wie sollte es jetzt weitergehen? Sie streckte die Hand aus, um die Säckchen wieder zu verstauen.
Der Pfandleiher kam ihr zuvor. Rasch deckte er mit gespreizten Fingern die Perlen ab. » Andererseits«, überlegte er laut, » andererseits aber schwelgen die adeligen Venezianerinnen gern in den
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