Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
ihre Verbundenheit. Vor ihrer Trennung waren sie einander nie so nahe gewesen. Ein leiser Seufzer entfuhr Mirijam. Ihr sehnlichster Wunsch, Sarah wiederzufinden, hatte sich erfüllt, und was immer sie ihr und ihrem Vater auch angetan hatte, war verziehen. Wenn es nur möglich wäre, dachte sie, mit Freuden würde sie Sarah die Angst um ihr Töchterchen abnehmen. Das einzig Wirksame jedoch, das sie tun konnte, war, sie zu unterstützen und ihr Mut zuzusprechen.
Ganz gegen seine Natur hatte sich Miguel bisher mit Ratschlägen zurückgehalten, doch natürlich sorgte auch er sich um Sarah und Margali, um » seine beiden Mädchen«, wie er sie nannte. Er ließ sie nicht aus den Augen. Mirijam wusste, er hatte die Blaufärbung der Lippen der Kleinen ebenfalls bemerkt, doch um Sarahs willen verbarg auch er seine Besorgnis. Er ruhte auf den Polstern in der Nähe einer der Feuerschalen, und nun, da die Kleine eingeschlafen war, flüsterte er Sarah zu: » Was ist mit ihrem Vater?«
» Marino?« Sarah richtete sich auf. Sie schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Was sie zu sagen hatte, tat weh, doch es galt nun, zu den begangenen Fehlern zu stehen.
Ihre Hände ballten sich, dann raunte sie: » Er wollte nicht mich. Ihm ging es …« Sie stockte. Dann wandte sie sich ihrer Mutter zu und begann erneut: » Du hattest recht, Mama. Er wollte nicht mich, es ging ihm von Anfang an um deine Purpurrezepte. Das habe ich jedoch erst in Venedig erfahren. Seine schönen Worte waren Lügen, sein Palazzo eine Ruine und er ein verderbter Mensch. Und Margali … Er wollte sie jemandem überlassen, einem seiner Kumpane. Oder seinem Onkel? Ach, ich weiß es nicht so genau. Und ich will es auch gar nicht wissen!«
Tränen liefen über ihr Gesicht, doch sie kümmerte sich nicht darum. » Um sie vor seinem Zugriff zu schützen, habe ich Venedig verlassen und bin hierher geflohen. Gute Freunde wie Kapitän Pacelli halfen mir dabei. Ich dachte, hier sei sie in Sicherheit, aber auf einmal, vor einigen Tagen …«
Sarah versagte die Stimme. Doch sie wollte nichts auslassen, vor allem nichts beschönigen, alles sollte heraus. » Vor einigen Tagen ist er plötzlich hier aufgetaucht, Marino, meine ich, und forderte einhundert Golddukaten. Sonst würde er mich ruinieren. Ich hätte ihn beinahe getötet. Ein Freund ging dazwischen und rettete mich, und ihn auch.«
Mirijam gab einen Schreckenslaut von sich. Rasch schlug sie die Hand vor den Mund. Das Kind ballte die kleinen Fäuste, erwachte jedoch nicht.
Miguel knurrte: » In der Hölle soll er enden« Seine Hände legten sich um einen imaginären Hals. Mirijam streichelte seinen Arm. Sie schwiegen.
Nach einer Weile fragte Miguel: » Woher wusstest du damals eigentlich, welcher Weg …?« Er räusperte sich. » In deinem Brief schriebst du von den Berbern, mit denen du nach Wahran gereist bist. Ich meine, das war klug, immerhin habe ich an der gesamten Küste nach dir gesucht, jeden verdammten Stein einzeln umgedreht. Sag mir, wie ist das zugegangen?«
Sarah fühlte sich am Ende ihrer Kräfte, gleichzeitig aber auch wie befreit. Etwas Neues entstand zwischen ihren Eltern und ihr, doch erst wenn sie jede ihrer Fragen beantwortet hatte, konnte das Neue wirklich gedeihen.
» Vergib mir, Papa. Ich ahnte, entlang der Küste würdest du mich aufspüren können, nicht aber wenn ich über Land reisen würde. Anhand deiner Karten wusste ich, dass ich mich nordnordost halten musste, allein hätte ich es allerdings nie geschafft . « Und leise, um Margalis Schlaf nicht zu stören, schilderte sie ihre Reise. Als sie geendet hatte, breitete sich Stille im Raum aus.
Miguel starrte auf seine Hände. Mirijam schaute ihre Tochter an, als sähe sie sie zum ersten Mal.
Yasmîna spähte durch den Türspalt. » Wir haben es«, flüsterte sie. » Allerdings nur getrocknet.« Sofort eilte Mirijam mit ihr in die Küche. Und während sie die trockenen Stängel der heilsamen Meerträubel in kleine Teile brach, sie leise simmernd auskochte und mit Zitronensaft versetzte, ließ sie sich von Yasmîna berichten, was sie in Venedig erlebt hatten.
*
Azîza fühlte sich wohl in Melilla, weit mehr als ihr Bruder. Ihr gefiel beinahe alles in dieser Stadt, und sie war begeistert, regelmäßig in verschiedenen Häusern zu verkehren und die Töchter von Verwandten ihrer Tante und deren Freundinnen zu besuchen. Etliche Tuchhändler und Schneiderinnen erfreuten sich ebenfalls ihrer Besuche, und nahezu jeden Tag
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