Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
gesehen: Mütter, die um das Leben ihrer kleinen Kinder rangen und sie mit dem Mund fütterten, wenn ihre eigene Milch versiegte .
Azîza kniete neben den beiden, reichte Sarah den Becher und tupfte danebengegangene Tropfen vom Kinn der Kleinen. Zwischendurch lächelte sie Sarah ermutigend zu und streichelte behutsam das kranke Kind.
Saïd nickte, als habe er eine Antwort erhalten. Er schaute den Kapitän an und sah einen alten Kämpfer. Haare und Augen erinnerten an Sarah, und vermutlich hatte seine Tochter neben diesen Äußerlichkeiten noch weitere Ähnlichkeiten mit ihm. Und er litt. Einerseits sicher an seiner Verletzung, aber vielleicht war er sich inzwischen auch seines Fehlers von damals bewusst geworden? Andererseits konnte der Kapitän wohl kaum das Ausmaß der Gefahr verstanden haben, in die ausgerechnet er seine Tochter gebracht hatte. Aber würde die Wahrheit nicht zu schmerzhaft für ihn sein?
» Bedenkt, ich kannte Euch nicht.«
» Ho, das ist keine Antwort. Ich warte!«, knurrte Miguel.
Saïd entschied sich nun doch für größtmögliche Offenheit. » Vermutlich ist Euch bekannt, dass in masirischen Zelten und Dörfern das Gastrecht heilig ist?«, begann er. » Als ich damals meine Schwester begleitete«, er deutete auf Azîza, » beriefen sich zwei junge Frauen auf dieses Recht und stellten sich unter meinen Schutz. Sie waren allein und auf Hilfe angewiesen. In ihrer Unerfahrenheit waren ihnen ihre Maultiere mitsamt der Ausrüstung davongelaufen.«
Der alte Kapitän hörte ihm aufmerksam zu, wenn auch mit grimmiger Miene.
» Ich wusste nicht, warum sie ihr Haus verlassen hatten, und ich fragte nicht danach. Von ihrer Idee, über Land an die Mittelmeerküste zu ziehen – Richtung Nordnordost, wie sie immer wieder betonten –, erfuhr ich unterwegs. Die Pflicht gegenüber denjenigen, die unseren Schutz in Anspruch nehmen, gebot mir, sie möglichst sicher, also persönlich an ihr Ziel zu geleiten.« Für einen Moment befand er sich wieder oberhalb der Bucht, und der Abstand zwischen dem Land und dem Schiff, das Sarah an Bord hatte, vergrößerte sich unaufhaltsam.
» Als wir später in Taroudant aufeinandertrafen, Kapitän«, fuhr er schließlich fort, » wusste ich natürlich, wer Ihr seid. Doch es gab etwas, das mir Euch gegenüber den Mund verschloss.«
Miguel runzelte die Brauen. » Ich höre«, sagte er und ließ ihn nicht aus den Augen.
» Während Eure Tochter unter meinem Schutz stand, belauschte ich einen osmanischen Spähtrupp. Deren Männer machten sich über einen portugiesischen Kapitän lustig, der ausgerechnet sie mit der Suche nach seiner verschwundenen Tochter beauftragt hatte. Wie ich durch mein Lauschen herausfand, hatten diese Osmanen beschlossen, die Tochter auf dem Sklavenmarkt anzubieten und von dem Erlös Waffen zu kaufen. Waffen, die sie gegen mein Volk einsetzen würden, um dessen Freiheit zu rauben. Wir haben diese Osmanen getötet.«
Miguel knirschte mit den Zähnen und stöhnte.
» Von diesem Vater«, fuhr Saïd fort, » wusste ich also nichts. Meine damaligen Kenntnisse lassen sich schnell zusammenfassen: Entweder, dem Mann war seine Tochter gleichgültig. Oder er konnte nicht ganz bei Trost sein, wenn er ihr Osmanen, die ihm zufällig begegneten, hinterherhetzte. Und drittens: die junge Frau folgte ihrem Herzen. Versetzt Euch in meine Lage. Konnte ich Euch angesichts dieser Konstellation ins Vertrauen ziehen? Noch dazu zu einem Zeitpunkt, an dem sich meine Brüder und ich zum entscheidenden Kampf gegen die Willkürherrschaft der Osmanen rüsteten?«
Der Kapitän sah ihn unverwandt an, als bereite es ihm Mühe, das Gehörte zu verstehen. Dann barg er sein Gesicht in den Händen. Er war blass geworden.
Saïd setzte sich neben ihn auf ein Polster und überkreuzte die Beine. » Es war wohl Eure übergroße Sorge, die Euch damals derart unbesonnen handeln ließ, Sîdi. Zum Glück gehören diese Wirren nun der Vergangenheit an.«
Miguel jedoch reagierte nicht.
Azîza kümmerte sich weiterhin um Sarah und deren Tochter. Reglos lag die Kleine im Arm ihrer Mutter, mit geschlossenen Augen und pfeifendem Atem. Das Kind war offenbar zu krank, um mehr als ein paar wenige Tropfen auf einmal aufnehmen zu können, Sarah aber gab nicht auf. Geduldig flößte sie der Kleinen mit dem Mund von der Flüssigkeit ein, wieder und wieder und wieder.
Saïd konnte seinen Blick nicht von ihr lösen. Nach einer Weile sagte er, als spräche er zu sich selbst: » Es ist Allahs Wille,
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