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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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das Tier jedoch nirgends entdecken.
    Ein leises Stimmchen in seinem Kopf wisperte, dass es ein Fehler gewesen sein mochte, davonzulaufen. Vielleicht tat er Santino unrecht. In einer Welt, in der Gebäude von der Größe eines Flughafens verschwanden und Vorstadt-Gangster das Faustrecht auf den Straßen ausriefen, war es wohl auch denkbar, dass Katzen sprechen konnten. Und zwar direkt in seinem Kopf.
    Er hatte sich zu Tode erschrocken vor dieser Stimme.
Der böse, böse Magier hat dir verschwiegen, was dich erwartet.
    Verdammt noch mal, oder es war gar nicht das Mädchen. Vielleicht war Santino der Schlüssel. Wenn alles seine Schuld war, wenn er etwas getan hatte …
    Zusammen mit dem Groll erwachte das Prickeln neu in seinen Adern, dieses flüssige Fieber, das seine Arme hinabrann und sich in den Fingerspitzen sammelte, bis er seinen Herzschlag darin mitzählen konnte. Es stieg ihm die Kehle hinauf, eine quecksilbrige Wärme, erhitzte die Wangen und brannte ihm in den Augen. Es ließ seine Sicht ein wenig verschwimmen und zeichnete Doppelbilder hinter den Flammen.
    »Ihr habt jemanden, der mir gehört!« Santinos Stimme trug so weit über die Kreuzung, als spräche er in ein Mikrofon. »Ich will sie zurückkaufen!«
    Böser, böser Magier,
echote es hinter Kens Stirn.
    Was hatte Nessa gemeint? War Marielle vor Santino geflohen?
    Die beiden Wachen, die den Autofahrer abkassiert hatten, traten auf Santino zu. Im flackernden Feuerschein warfen sie lange, gespenstisch verzerrte Schatten. Donnergrollen verschluckte den darauffolgenden Wortwechsel. Einer der Typen verschwand in der Bar. Gleich darauf flog die Tür wieder auf, und er kehrte in Begleitung mehrerer Männer zurück.
    »Ich bin Tad Grünauge«, sagte ein bulliger Kerl mit kurz geschorenen Haaren. Er trug Stiefel und Weste aus weißem Schlangenleder und einen altmodischen Revolver an einem Hüftgurt mit Patronenschlaufen. »Du willst ein Geschäft mit mir machen?«
    »Ich will die Kleine zurück.«
    »Welche?«
    »Die wütende Wildkatze mit den silberblonden Locken.«
    »Ach die.«
    Gelächter flackerte auf.
    »Kannst du auch zahlen? Sie ist süß.« Das letzte Wort ließ Grünauge wie eine Anzüglichkeit klingen. Als hätte er sich selbst von der Qualität der Ware überzeugt. »Ich brauche einen besonderen Anreiz, um mich von ihr zu trennen.«
    Ken starrte ihn an und hatte sekundenlang das Gefühl, Pat dort zu sehen. In seinem Magen sammelte sich Wut, wie Magma in einer Blase. Die Vision verblasste, doch das Brennen blieb. Er wusste, dass es ebenso gut Pat hätte sein können. Sein Bruder war keinen Deut besser als dieses Schwein, das sich vor seinen Gefolgsleuten damit brüstete, Hand an ein wehrloses Mädchen zu legen.
    »Wie viel?« Santinos Stimme klang gleichgültig. Wie konnte er so ruhig dastehen, ohne dem Kerl ins Gesicht zu schlagen? Bluffte er? Und wenn nicht, was dann? Was, wenn Marielle vom Regen in die Traufe geriet? Ken dachte wieder an den Kuss. Warum hatte sie das getan? Erinnerte sie sich ebenso wie er an ihre Begegnung als Kinder? Dachte sie nachts manchmal an ihn? Drehte sie die bunte Glasscherbe zwischen den Fingern, die sie vom Boden aufgehoben hatte?
    Irgendwo schepperte Holz auf Stein. Der Sturm schleuderte die Fensterläden zu. Bäume ächzten unter der Wucht der Böen, Blätter flogen Ken um die Ohren. Ein Blitz tauchte den Himmel in blendend weißes Licht, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Grünauge schickte zwei Männer ins Haus.
    Sie kehrten mit Marielle zurück, die zwischen ihnen hing wie ein Sack Mehl, der Kopf auf die Brust gefallen, die Glieder wie Gummi.
    »Was habt ihr mit ihr gemacht?« Schärfe trat in Santinos Worte.
    »Sie ruhiggestellt.« Grünauge lachte dreckig. »Keine Sorge, in zwei Stunden ist sie wieder voll funktionsfähig.«
    Santino zog eine flache Ledertasche unter seinem Mantel hervor und reichte sie dem Mann. Ken konnte nur vermuten, dass es das Geld war, denn Grünauge grunzte zufrieden. Er packte Marielle am Arm.
    In genau diesem Moment kam Leben in das Mädchen. Sie riss sich los und versetzte ihm einen Tritt seitlich gegen das Knie. Er schrie auf und ließ die Tasche fallen, bekam sie wieder zu fassen und grub ihr eine Faust in den Magen. Würgend klappte sie nach vorn.
    Die Wut in Ken schäumte über. In sein Mitgefühl für Marielle mischte sich der eigene hilflose Zorn, die tausend Male, in denen er sich hatte verprügeln lassen. McKinneys Schläger, die Turnbulls Laden auseinandernahmen, Seans

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