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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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pulverisiert.«
    »Und dieses andere Ding?« Er deutete auf das grünliche Krakenmaul.
    »Das ist ein Riss in der Realität.« Sie legte ihren Kopf in den Nacken und starrte übers Wasser. Eine Vielzahl von Emotionen zuckte über ihr Gesicht. Sorge, Trotz, Neugier, Wut. »Sagt Santino. Ich bin mir sicher, er weiß mehr darüber, aber erzählt mir ja nichts. Die Risse sind angeblich ein Vorzeichen, dass die Sphäre bald zerstört wird. Und dieses Erdbeben gerade …« Ihre Schultern verkrampften sich. »Vielleicht hat er recht, und Dämmer-Detroit bricht auseinander. Ich dachte nur nicht, dass es so schnell passiert.«
    »Was geschieht dann mit den Leuten, die hier leben?«
    Abermals zuckte sie mit den Schultern.
    »Sie sterben?«
    Ein Ausdruck von Verlorenheit glitt über ihr Antlitz. »Welten entstehen und vergehen.« Sie sah nicht so aus, als verstünde sie wirklich, was sie da sagte.
    Ken fühlte den befremdlichen Drang, einen Arm nach ihr auszustrecken und sie zu trösten, während ein anderer Teil von ihm gereizt auf ihren Fatalismus reagierte. Sie hatte gut reden. Sie konnte durch ein Tor gehen und die sterbende Welt verlassen, bevor die ersten Stücke davon abfielen.
    Santino löste sich aus dem Grün der Bäume. Der ungute Gedanke verflog.
    »Ich weiß, wo wir sind!«, rief er dem Magier zu. »Das ist eine Insel in der Mündung des Detroit River.«
    Santino bewegte sich steif, als hätte er sich beim Sturz verletzt. Oder vielleicht lag es auch an der Schulter. Immerhin war er vor nicht mal vierundzwanzig Stunden angeschossen worden. Seinetwegen. Ken wollte gar nicht daran denken. Er bückte sich nach einem Ast und kratzte ein paar Linien in den Sand. »Hier ist der Fluss, und hier die Insel. Es gibt keine Straßenverbindung, man muss mit dem Boot übersetzen. Es gibt einen kleinen Hafen. Könnte sein, dass der Weg über die Brücke genau dahin führt.«
    »Also lassen wir uns zum Ufer rudern, besorgen uns ein Auto und fahren zurück zu diesem Depot.« Santino warf Marielle einen undeutbaren Blick zu. »Und hoffen, dass die Tore nur innerhalb der Sphäre verrücktspielen.«
    »Du hättest ja nicht herkommen müssen«, maulte sie. »Ich habe dich nicht gebeten, mir nachzuschleichen.«
    Mit einem Schlag war die Anspannung wieder da, doch sie fühlte sich anders an. Eine Bitterkeit hing zwischen Santino und Marielle, als wenn man bei Freunden zu Hause eingeladen war, und beim Abendessen die Eltern höflich miteinander sprachen, es jedoch vermieden, sich dabei anzusehen. Wenn die Luft schwer wog von ungesagten Vorwürfen und von der Mühe, den Schein zu wahren.
    Marielle straffte die Schultern und stapfte an ihnen beiden vorbei die kleine Böschung hinauf. Sie bog zurück auf den Weg, ohne zu warten. Nessa stolzierte hinter ihr her, im kläglichen Versuch, darüber hinwegzutäuschen, dass sie aussah wie ein Angora-Kissen, das Mom in die Waschmaschine gesteckt hatte.
    Der regenfeuchte Wald um sie herum raunte und raschelte vor Leben. Ammern und Finken schossen durchs Unterholz, das Pochen eines Goldspechts mischte sich ins Blätterrauschen. Vor ihnen flog ein Blauhäher auf und ließ sich ein Stück entfernt auf dem Boden nieder. Es fühlte sich so normal an. Als verliefe nicht das Ende dieser Welt mitten durch den See, nur ein paar hundert Yards entfernt. Als leuchtete nicht über ihren Köpfen ein Riss in der Realität.
    Marielle lief weit vor ihnen. Ihr Zopf hüpfte auf und nieder wie eine silbrig schimmernde Chrysantheme.
    »Was ist mit den Toren?«, fragte er den Magier. »Wie haben Sie das gemeint?«
    »So, wie ich es sage.« Santino streifte überhängendes Blattwerk beiseite. »Sie spielen verrückt. Und wir können nur zu allen Göttern beten, dass Marielles Tor uns in den Kern zurückbringt, und nicht in die Zahnwüste. Oder an einen anderen unerfreulichen Ort.«
    Eine Zeit lang liefen sie schweigend nebeneinanderher. Santinos Angebot rumorte in seinem Kopf. Wenn er zu lange wartete, wenn sie erst das Depot erreichten und zurückkehrten in ihre Heimatgefilde, dann war es vielleicht zu spät. Dann hatte der Magier es sich womöglich anders überlegt.
    Und wenn er den AP -Test nicht bestand, oder wenn Mrs Prescott ihn von der Schule warf, dann war es doppelt gut, eine Alternative zu haben.
Hey Mom, ich gehe jetzt doch nicht aufs College, aber weißt du was, ich werde Zauberlehrling. So wie Harry Potter. Was hältst du davon?
Hätten die Schwellungen und verschorften Stellen in seinem Gesicht nicht so

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