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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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süß. Wirklich. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ihm vor allem darum ging, ihr zu imponieren. Und das Schlimmste, es schmeichelte ihr.
    »Ich hab ihnen den Pelz versengt«, verkündete er, stolz wie ein attischer Kriegsherr vor seinen Legionen.
    »Lass mal sehen.« Sie schob ihn beiseite und spähte hinaus. Tatsächlich, die Hunde waren zurückgefallen. Rauch schwelte über einem schwarzen Fleck auf der Straße. Gegen ihren Willen war sie beeindruckt.
    Linker Hand geriet die Betonfassade eines Hochhauses in ihr Blickfeld. Sie bogen scharf ab und schossen in eine dämmrige Straßenschlucht. Downtown, das Jagdgebiet der Drachenkraniche. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Die Bürgersteige waren mit einer Pergola überbaut, die mit Lumpen und Teerpappe abgedeckt war. Laufgänge, um den Blicken der Vögel zu entgehen. Ken drängte sich neben sie ans Gitter.
    Der Wagen bog erneut ab, dann noch einmal. Im Fensterchen tauchte eine lange, von Hochhäusern gesäumte Promenade auf, der Asphalt nachtdunkel, die oberen Stockwerke gleißend golden im letzten Abendlicht. Die Narbe pulsierte direkt am Ende der Schneise. Mit einer Mischung aus Faszination und Grauen beobachtete sie, wie die Nebel sich teilten und etwas Festes aus dem Riss nach draußen quoll. Es war dunkler als die umgebenden Schwaden, erinnerte an einen zusammengerollten Embryo und entfaltete sich, während es nach unten sank. Das Ding musste riesig sein.
    »Wow!«, stieß Ken hervor. »Was ist das?«
    »Keine Ahnung.« Aber was es auch war, es jagte ihr eine irrationale Angst ein. Es war wie bei den Hunden. Als wäre ihr Gehirn plötzlich zu Eis gefroren. Sie konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen. »Nessa!« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Komm und sieh dir das an!«
    Die Purpurkatze hatte alle vier Pfoten in den Boden gestemmt und sich mit ihrem gesträubten Fell in eine leuchtend grüne Giftkugel verwandelt. Doch sie gehorchte und erklomm mit drei Sätzen Marielles Schulter.
    Das ist nicht gut,
zitterte eine Sekunde später ihre Stimme durch Marielles Geist.
    »Ach echt?«, fragte Ken säuerlich.
    Das ist eine Devora. Eine Verschlingerin.
    Draußen knallte die Peitsche. Der Wagen ruckte in ein schnelleres Tempo. Die Kelpies zogen an, als fürchteten sie sich ebenso vor dem, was der Spalt geboren hatte.
    Der grünliche Riss reichte nun bis hinab auf den Horizont und schien sogar ins Ende der Straße einzudringen. Die Kreatur berührte den Boden und richtete sich auf vier gedrungenen Gliedmaßen auf. Jetzt ähnelte sie einer gigantischen Hyäne mit viel zu großem Kopf und lang gezogener Schnauze. Sie hob den Kopf und heulte. Der Ton drang Marielle durch Mark und Bein. Wie ein Schiffshorn auf dem Fluss der Toten, tief und klagend. Für einen Moment sog er alle anderen Geräusche aus der Welt. Sogar die Katzenkinder verstummten.
    Und dann geschah etwas wirklich Gespenstisches. Von überall aus den Seitenstraßen drängten sich Spalthunde auf die Promenade und strebten auf die Devora zu. Wie ein schmutziger Strom fleckten sie den Asphalt. Es mussten Hunderte sein.
    »So viele«, flüsterte sie. »Nessa, was ist eine Devora?«
    Eine Kreatur, die das Gewebe frisst.
    Noch eine Kurve – und eine Wand voll zerbrochener Fenster versperrte die Sicht. Erneut erhob die Devora ihre Stimme. Hohl und schrecklich hallten die Töne von den Hausfassaden wider.
    Marielle ließ die Gitterstäbe los. »Aber bis sie in unsere Nähe kommt, werden wir längst weg sein. Kann sie uns folgen?«
    Nicht auf direktem Weg.
    »Was wird mit den Menschen, die hier leben?«, fragte Ken.
    »Die, die nicht rechtzeitig geflohen sind, werden sterben. Ich hoffe, die Ojibwe sind inzwischen fort.«
    Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, sein Gesicht eine verstörte Maske. »Ich komme mir vor wie ein Arsch. Wir hauen durch das Portal ab und nach uns die Sintflut.«
    Willst du lieber hierbleiben?
    »Nein!« Er schüttelte den Kopf. »Nein, will ich nicht. Aber es muss doch etwas geben … wieso tut niemand etwas?! Das ist eine lebendige Welt, und dann kommt einfach so ein Monstrum und frisst sie auf?«
    Wenn du die wahre Größe des Spektrums ermessen könntest, wüsstest du, dass jeden Tag hundert Welten sterben, und dafür hundert neue entstehen. Das hier sind die Dämmerschatten. Nichts ist von Bestand.
    »Aber ich –« Er hob die Hände und ließ sie sinken. Die Katzenkinder miauten zögerlich. »Ich dachte nur, wenn wir das Portal vielleicht

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