Purpurfalter
Männer machten ihrem Unmut lauthals Luft. Loreena hörte, wie Lomas versuchte das Heer zu beruhigen. Doch auch die Vampire schimpften. Anscheinend ließ Graf Schomul sie ebenfalls im Ungewissen über seine Pläne. Loreena konnte sich vorstellen, dass die Blutsauger die Unterjochung Ingrimms als Jahrhundertsieg betrachteten. Aber durfte der Graf den König am Leben lassen, ihm sogar bei der Befreiung seines Sohnes helfen? Vielleicht sah Schomul in Lomas keine Gefahr. Vielleicht war dies alles für ihn ein einziges amüsantes Spiel.
Der Regen schwoll an. Alle zogen ihre Kapuzen über. Die vom Medusen Meer ins Landesinnere wehende Brise war kein Vergleich zum Sturm auf der Ebene Fallbö. Sanft umspielte sie den Tross, als dieser vor den Toren Küstenmarks ankam und zwischen den Häusern hindurch in den Hof der Festung Tide ritt. Loreena roch die salzige Meeresluft und lächelte. Zu Hause! Aber so schnell, wie das Hochgefühl aufglühte, verglimmte es wieder. Sie stieg ab und schaute sich ängstlich im Hof um. Mägde und Diener stürmten jubelnd heraus. Als sie Lomas sahen, brachen viele in Tränen aus. Die Stallburschen nahmen den Kriegern die Zügel aus der Hand und führten die Pferde fort. Mägde brachten Wein. Diener reichten Decken. Die Armee Valkenhorsts sprang von ihren Rappen und beobachtete unsicher das chaotische Treiben.
Loreena zog die Decke enger um ihren durchnässten Körper und nahm einen großen Schluck Wein. Er breitete sich herrlich warm in ihrem Inneren aus. Gelassenheit. Friede. Sie war zu Hause, mit Lomas an ihrer Seite. Ihrem Vater ging es besser und Graf Schomul war nirgends zu sehen. Plötzlich ritten Vermummte in den Innenhof, hoch gewachsen und finster. Zu früh gefreut. Loreena verschluckte sich am Wein und hustete. Die in schwarze Umhänge mit Mundschutz verhüllten Vampire umstellten sie. Loreena spürte die Blicke und fröstelte. Zu allem Ärger wurde ihr übel. Seit dem Gallen Forst hatte sie nichts gegessen. Der Wein auf leeren Magen und die Aufregung waren fürchterlich für ihren Körper. Der hämmernde Schmerz in ihren Schläfen kehrte zurück. Hilflos stand sie in der Mitte, abgeschnitten vom Heer Ingrimms.
Da trat einer der Vermummten auf sie zu. Er entfernte den Mundschutz. Schomul! Loreena hielt den Atem an. Sein markantes Gesicht mit der bleichen Haut und den Amethyst-Augen hob sich von der Schwärze des Umhangs ab. Eiskalt sah er auf sie hinab. Er stand nur einen Schritt von ihr entfernt und ragte imposant aus der Menge heraus wie ein Hüne - stolz und frostiger als die Ebene Fallbö. Er schwang seinen Mantel auf, sodass Loreena einen Blick auf den Degen erhaschen konnte. Mit aller Kraft versuchte sie sich nicht einschüchtern zu lassen, aber die Reise nach Firn hatte ihr jegliche Stärke geraubt.
Schomul schlug ihr den Holzbecher mit Wein aus der Hand. Polternd fiel er auf das Steinpflaster. Sein Inhalt ergoss sich im Hof. Wor, Lomas und Mogall traten durch die Reihe der Vampire in den Kreis. Die anderen Anwesenden im Hof wagten es nicht, sich zu bewegen.
„Die Ruhe vor dem Sturm“, dachte Loreena und versuchte das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Wenn Schomul nur nicht so attraktiv wäre! Trotz Härte fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie verstand das nicht.
Der Vampir kam so nah an sie heran, dass ihre Stiefelspitzen sich berührten. „Ihr habt meinen Befehl missachtet. Ihr habt Euch über den Kopf Eures Herrschers hinweggesetzt. Nun werdet Ihr dafür büßen.“
Ein Raunen ging durch die Menge. Loreena befürchtete, dass die Krieger Ingrimms zu ihren Waffen greifen und die Vampire attackieren würden, da immer noch König Wor der Regierende war. Doch nichts geschah. Selbst Wor wagte es nicht zu sprechen. Schomuls Gegenwart jagte ihnen allen eine Heidenangst ein.
„Ihr hattet die Anweisung auf Tide zu bleiben“, zischte er. „Ihr solltet Eurem Reich den Rücken stärken, während König Wor Euren teuren Bruder befreit. Ich gab ihm die Erlaubnis. Ihr habt nicht nur meine Gutmütigkeit ausgenutzt, sondern auch das Reich Ingrimm bitter enttäuscht. Nun ist es mir in die Hände gefallen. Seht die Flagge auf der Zinne.“
Loreena hatte Graf Schomul schon einmal derart erzürnt gesehen. Und zwar bei der Übergabe der „Purpurnen Schriftrolle“, kurz bevor er ihren Vater biss, um ihm ewiges Leben zu schenken - und damit den Pakt mit ihm, dem Teufel, besiegelte.
Sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Tränen füllten ihre Augen, obwohl sie
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