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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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vorbeizudrängen, doch er ließ sich nicht abschütteln.
    »Da gibt es nichts zu erklären und zu verzeihen«, sagte sie kühl. »Es war ein Irrtum meinerseits, basta. Wir sollten der Angelegenheit nicht mehr Bedeutung schenken, als sie verdient. Und jetzt geh mir bitte aus dem Weg!«
    Die Kälte, mit der Juliette ihm begegnete, brachte
Claudio zur Verzweiflung. In der Aufregung fehlte es ihm an den
passenden Worten; aber vermutlich wären auch die passenden Worte unter
den gegebenen Umständen nutzlos gewesen, da Juliette in ihrem
gekränkten Stolz nur eines wollte: Claudio demütigen.
    Der gab schließlich den Weg frei. Doch bevor Juliette auf die Via del Tritone trat, rief er ihr hinterher: »Ich werde morgen um sieben in unserem Lokal an der Piazza Navona auf dich warten, Giulietta. Wenn es sein muß, die ganze Nacht!«
    Juliette tat so, als hätte sie ihn nicht verstanden.
    Die Zustände in Collins Privatklinik hatten inzwischen
ein Ausmaß erreicht, daß Dr. Nicolovius sich ernsthaft mit dem Gedanken
trug, den Klinikbetrieb einzustellen. Dies brachte er in einem Brief
zum Ausdruck, den er mit der Bitte um dringende Stellungnahme an
Juliette nach Rom schickte.
    Collin nahm beinahe den gesamten Klinikbetrieb für
sich in Anspruch, und seit er sich immer besser verständlich machen
konnte, betrachtete er sich wieder als Leiter der Klinik. An manchen
Tagen war der gelähmte Professor nur zu ertragen, wenn er mit Cognac
abgefüllt war – zur Linderung der Schmerzen, wie er sich
herausredete.
    Auf den Gängen und in den Zimmern der Klinik
herrschte Angst. Angesichts eines gelähmten Mannes im Rollstuhl mochte
sich das grotesk anhören; aber Collin benützte seinen Rollstuhl als
Waffe. Er weigerte sich, zur Nachtzeit das Bett aufzusuchen, denn er
fand ohnehin nur minutenweise Schlaf. Im übrigen bedeutete das Bett für
ihn absolute Hilflosigkeit. Deshalb bestand er darauf, die Nächte in
seinem Rollstuhl zu verbringen. Heimlich und wie ein Schatten fuhr er
dann die Gänge der Klinik auf und ab, lauschte an Türen oder polterte
dagegen, und weder Oberarzt Dr. Nicolovius noch die kräftigen Pfleger
vermochten ihm Einhalt zu gebieten.
    Was wirklich in ihm vorging, wußte niemand. Es
schien, als hätte er sich mit seinem Zustand abgefunden und als wären
der Suff und der Sadismus, mit dem er seine Umgebung terrorisierte, zu
seinem Lebensinhalt geworden.
    Um so mehr verblüffte der plötzliche Wandel in
seinem Verhalten. Von einem Tag auf den anderen verhielt Collin sich
auffallend zurückhaltend. Zwar schien er noch immer gegenwärtig zu
sein, überall, Tag und Nacht, doch seine herrischen Befehle blieben
aus, und mit einem Mal lenkte er sogar seinen teuflischen Rollstuhl
umsichtig und mit Bedacht durch die Gänge.
    Nicolovius, dem der Wandel zuerst auffiel, führte
dies auf die jüngste Untersuchung des Professorenkollegen zurück, der
Collin nach dem verhängnisvollen Unfall behandelt hatte und sich mit
dem Zustand seines Patienten zufrieden zeigte. Jedenfalls in Anbetracht
der schweren Verletzungen, wie er sich ausdrückte. Daß Collin jemals
wieder Arme oder Beine bewegen könnte, daran sei ohnehin nicht zu
denken.
    Von seinem Oberarzt wurde Collin gegen 22 Uhr mit
dem geforderten Quantum Alkohol versorgt; dann verabschiedete er sich.
Collin bat Nicolovius noch, er möge das ›Warschauer Konzert‹ in seinen
Walkman einlegen, ihm die Kopfhörer aufsetzen und wie immer die Tür
seines Zimmers offenstehen lassen.
    Allein mit sich und seiner Lieblingsmusik,
verharrte Collin lange Zeit regungslos. Dann setzte er mit dem Löffel
vor seinem Mund den Rollstuhl in Bewegung. Behutsam, als wäre er darum
bemüht, ja niemanden zu stören, fuhr er aus dem Zimmer und steuerte das
Fahrzeug den Gang entlang.
    Vor dem Treppenhaus angelangt, wendete er den
Rollstuhl. Das Quietschen, das die Gummiräder auf dem Fußboden
verursachten, erschreckte ihn, so daß er einen Augenblick stehenblieb
und wartete. Dann steuerte er den Rollstuhl zurück bis zur Tür seines
Zimmers und wendete erneut.
    Minutenlang verharrte Hinrich Collin, den Blick
starr nach vorn auf ein imaginäres Ziel gerichtet. Langsam glitt seine
Kinnlade herab. Mit geöffnetem Mund schnappte er nach dem Löffel, mit
dem er seinen Rollstuhl steuerte; dann drückte er den Hebel des
Elektromotors bis zum Anschlag nach vorn.
    Der Rollstuhl beschleunigte seine Fahrt. In
Gedanken hatte Collin seinen Plan schon hundertmal in die Tat
umgesetzt. Jetzt kannte er nur noch eine

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