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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Angst: daß dieser Plan
scheitern könnte.
    Nach der Hälfte des Weges hatte das schwere
Gefährt, auf das er geschnallt war, eine so hohe Geschwindigkeit
erreicht, daß nur ein Lenkfehler es noch aus der Bahn hätte werfen
können. Collin hielt sich starr, als wäre sein Nacken aus Eisen
gegossen.
    Er wagte keinen Blick zur Seite auf eine der
vorüberhuschenden Türen, hinter denen andere tragische Schicksale ihren
Lauf nahmen. Längst war ihm der Gedanke fremd geworden, daß diese
Klinik sein Werk war; daß er dies alles aufgebaut hatte. Das zählte
nicht mehr. In seinem Inneren war alles geordnet, alles geregelt. Er
mußte sich eingestehen, daß er gescheitert war. In jeder Beziehung
gescheitert.
    Hinrich Collin war kein Mann, der Mitleid ertragen
konnte. Für ihn war Mitleid eine Vokabel kleiner Leute. Er konnte gut
damit leben, gehaßt zu werden – bemitleidet werden wollte er
nicht. Und er wollte kein Bittsteller sein müssen. Er wollte nicht
dankbar sein müssen. Er wollte überhaupt nichts mehr. Deshalb hielt er
den Steuerlöffel starr nach vorn gerichtet.
    Seine letzte Wahrnehmung war ein Geräusch, ein
furchtbares, durchdringendes Krachen, als der Rollstuhl in rasender
Fahrt gegen das Geländer im Treppenhaus prallte, es durchbrach und ein
paar Teile mit sich riß.
    Das Fahrzeug überschlug sich, geriet in rollende
Bewegung und nahm dabei soviel Schwung auf, daß es mit dem Vielfachen
seines Eigengewichts landete, als es drei Stockwerke tiefer aufschlug.
    Collins Kopf wurde auf den Steinboden geschmettert und zerplatzte wie ein mit Erde gefüllter Blumentopf.

K APITEL 11
    Collin war bereits zwei Tage tot, als Juliette in München eintraf. Dr. Nicolovius hatte sie telefonisch benachrichtigt. Er hatte alle Anstrengungen unternommen, ihr den Selbstmord ihres Mannes möglichst schonend nahezubringen, doch Juliette hatte sehr beherrscht reagiert. Vielleicht sei es für alle Beteiligten besser so, hatte sie gesagt.
    Die Boulevardzeitungen sahen in dem Ereignis ein gefundenes Fressen. Professor Collin genoß einen guten Ruf, vor allem in Kreisen der Münchner Society. Geschickt hatte er es verstanden, seine persönlichen Umstände und Probleme aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Andererseits war sein Schicksal, vor allem aber sein bis ins kleinste geplanter Selbstmord, so ungewöhnlich, daß die Zeitungen sich tagelang damit beschäftigten.
    Auf Juliettes Wunsch blieb Brodka in Rom zurück. Sie wollte ihn nicht in die Sache hineinziehen, und er war ihr dankbar dafür.
    Bis zum Tag der Beerdigung wurde Juliette von Journalisten belagert. Sobald sie das Haus verließ, setzten sie sich wie Hunde auf ihre Fährte. Juliette war machtlos, hilflos, ausgebrannt. Sie fühlte sich allein wie der einsamste Mensch der Welt.
    Die Beerdigung, für die Juliette sich in einem Modesalon in der Maximilianstraße neu einkleidete, lief wie ein Film vor ihr ab. Die Sonne schien, und sie trug eine große dunkle Brille. Es gab keinen Pfarrer, keine Ansprachen, nur Händeschütteln, aber keine Bekundungen von Anteilnahme. Als Juliette nach zwanzig Minuten das Weite suchte, schwor sie sich, die Stätte nie wieder zu betreten.
    Zu Hause machte sie sich umgehend daran, jede Erinnerung an ihre fünfzehnjährige Ehe auszulöschen. Sie öffnete sämtliche Fenster des Hauses, alle Schranktüren, Kästen und Kommoden und sortierte aus, was irgendwie mit Collin zu tun hatte. In Collins Arbeitszimmer, das sie auf seinen ausdrücklichen Wunsch nur selten betreten hatte, fand sie mehr als ein Dutzend Cognacflaschen in den Schränken. Angeekelt goß sie den Inhalt ins Waschbecken und warf die Flaschen in die Mülltonne. Im ganzen Haus stank es nach Alkohol. Juliette würgte, trat ans offene Fenster und holte Luft.
    Der respektlose, ja pietätlose Umgang mit ihrer Vergangenheit widerte sie an, gab ihr jedoch ein Gefühl der Freiheit. Juliette fühlte sich besser, als sie immer mehr Erinnerungsstücke hervorzog und zu Boden warf: Fotos, Briefe, Prospekte, Notizbücher und all den Krimskrams, der sich im Laufe der Jahre ansammelt. Nun war es Müll.
    In einem Wandtresor, dessen Schlüssel stets in der Schreibtischschublade lag, fand Juliette eine größere Summe Geld in deutscher, amerikanischer und italienischer Währung. Wieviel es war, interessierte sie nicht. Ebensowenig die Ansammlung von Dokumenten in einer schwarzen Ledermappe, Wertpapiere und Konten, von denen sie nichts wußte, Policen, Prozeßakten und Urkunden.
    Obwohl die laue

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